Inflation, Inflationsmessung und Zentralbankpolitik
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DOI: 10.1007/s10273-020-2778-0
Alfons Weichenrieder, Eren Gürer
Inflation, Inflationsmessung und Zentralbankpolitik Inflation ist ein Konstrukt. Sie wird von unterschiedlichen Akteur*innen unterschiedlich wahrgenommen. Zum Teil passiert dies, weil Warenkörbe differieren, zum Teil weil Erwartungen unterschiedlich gebildet werden. Dieser Beitrag diskutiert die Heterogenität der Inflation und ihrer Wahrnehmung und was dies für die Zielgröße der Zentralbankpolitik bedeutet.
gressive Ausweitung der Zentralbankgeldmenge abgegeben hätte, gibt der Beschluss von 2003 hier mehr Rechtfertigungsspielraum. Dem steht gegenüber, dass an der Nullzinsgrenze, die bereits seit geraumer Zeit erreicht ist, Zweifel existieren, inwieweit die Geldpolitik in der Lage ist, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage anzuregen und Preiseffekte zu induzieren.
Das Inflationsziel der EZB
Begründungen für eine moderate, positive Inflationsrate
Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt ein Inflationsziel von nahe, aber unter 2 % an. Dieses Inflationsziel ist nicht in den Europäischen Verträgen verankert. Dort wird in Art. 127 AEUV lediglich das vorrangige EZB-Ziel der Preisstabilität festgeschrieben. Dies bedeutet, dass eine Inflation von 0 % durchaus dem Auftrag der Verträge entspräche. Das Inflationsziel von nahe, aber unter 2 % entspringt der Interpretation des EZB-Rats, wie er in einem Beschluss von 2003 festgehalten wird. Ein ursprünglicher Beschluss des EZB-Rats aus dem Jahr 1998 sprach von einem Inflationsziel von unter 2 %. Auch wenn innerhalb der OECD-Länder ein 2 %-Ziel im Konzert der Zentralbanken nicht ungewöhnlich ist, verbinden sich mit dieser Interpretation des Inflationsziels wirtschaftspolitisch wichtige Implikationen: Während die seit 2014 unter 2 % liegende Inflationsrate nach dem Beschluss von 1998 keine Begründungsbasis für eine ag© Der/die Autor(en) 2020. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https:// creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht. Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.
Prof. Dr. Alfons J. Weichenrieder ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt, Gastprofessor an der WU Wien und Forschungsgruppenleiter am Leibniz Institut SAFE. Eren Gürer, M. Sc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Prof. Weichenrieder an der Goethe-Universität Frankfurt.
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Die EZB rechtfertigt das 2 %-Ziel mit drei Argumenten: • Erstens könne eine Zielinflation von nahe 2 % die Gefahr einer Deflation verringern. • Zweitens sei eine positive durchschnittliche Inflationsrate hilfreich, um zu vermeiden, dass in einem heterogenen Euroraum einige Länder und Regionen eine negative Inflation erreichen. • Drittens könne die Messung der Inflation mit kleinen, aber systematischen Messfehlern einhergehen. Falls dem so ist, könnte eine gemessene Inflation von null schon eine Deflation bedeuten. Jenseits dieser offiziellen, auch auf der EZB-Homepage aufgeführten Gründe für moderate Inflation
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