Abgrund zwischen den Zeilen
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Abgrund zwischen den Zeilen Die Stimme des Gewissens in der Prosa Kants und Schillers Philipp Weber
Online publiziert: 19. August 2020 © Der/die Autor(en) 2020
Zusammenfassung Der Aufsatz untersucht die Konzeption der Stimme des Gewissens in den Prosaschriften Kants und Schillers. Ausgehend von neueren, theoretischen Ansätzen wird danach gefragt, wie die Stimme des Gewissens am Ende des 18. Jahrhunderts und unter modernen Voraussetzungen im Medium der Prosa gedacht wird. Mit dem Auftritt moderner Subjektivität stellt die Reflexion auf die innere Stimme, die nicht die eigentümliche des Subjekts ist, aber doch in ihm ruht und dessen Handeln mitbestimmt, vor besondere Herausforderungen, die in unterschiedlichen Ansätzen angegangen werden. In der Reflexion auf eine der Darstellung unverfügbare Stimme als substanzieller Bedingungsmöglichkeit von freiheitlicher Subjektivität, so die Überlegung, lassen sich die Möglichkeiten der Kommunikation über das Gewissen unter modernen Bedingungen aufzeigen.
The Abyss in between the lines The voice of conscience in Kant’s and Schiller’s prose Abstract The article is concerned with the concept of ›the voice of conscience‹ in Kant’s and Schiller’s prose writings. Considering recent theory, it is asked how the voice of conscience is conceptualised in a modern context within the medium of prose at the end of the 18th century. With the rise of modern subjectivity, the reflection about conscience as an inner voice that is not of the own subject but that still lies within it and that co-determines its actions poses several challenges that are addressed in different manners. It will be investigated whether there are possibilities for communication about modern conscience on the basis of a reflection about it as
P. Weber () Germanistisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Universitätsstr. 150, 44801 Bochum, Deutschland E-Mail: [email protected]
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P. Weber
a non-representable voice that functions as a substantive condition of the possibility of free subjectivity.
Von seinem Vater erhält der junge Anton Reiser im gleichnamigen Roman von Karl Philipp Moritz die »Anweisung zum innern Gebet«, ein pietistisches Lehrbuch, in dem gezeigt wird, »wie man nach und nach dahin kommen könne, sich im eigentlichen Verstande mit Gott zu unterreden und seine Stimme im Herzen, oder das eigentliche ›innre Wort‹, deutlich zu vernehmen«.1 Reiser gibt sich mit größtem Eifer den Gebetsübungen hin, mit dem erklärten Ziel, »die Stimme Gottes, in sich zu hören«.2 Die Übungen gelingen und misslingen dann in derselben Weise, wenn der junge Reiser nach kurzer Zeit anfängt, »sich wirklich mit Gott zu unterreden, mit dem er bald auf einen ziemlich vertraulichen Fuß umging«.3 Anstelle einer geltungsmächtigen Invokation oder einer richterlichen vox dei zeigt sich die Stimme bald schon völlig im Einklang mit der Alltagskommunikation, so »wie man ohngefähr mit einem seinesgleichen spricht, mit dem man eben nicht viel Umstände macht, und ihm war es denn wirklich immer, als ob Gott dieses oder jenes antwortete
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