Das Dispositiv der Andacht

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Das Dispositiv der Andacht Eine theatergeschichtliche Perspektive? Christian Schmidt

Online publiziert: 7. Oktober 2020 © Der/die Autor(en) 2020

Zusammenfassung Der Beitrag schlägt mit dem ›Dispositiv der Andacht‹ ein Modell für ein Netz von Subjektivierungsstrategien vor, in dem sich geistliche Spiele vor der Zeit des Theaters verorten lassen. Er stellt die Prämisse der Alterität des mittelalterlichen Theaters zurück, um einen Zugriff zu gewinnen, der nicht leitend am Theater der Neuzeit orientiert ist. Die theater- und literaturgeschichtliche Perspektive, die dadurch in den Hintergrund gerät, lässt sich in den geistlichen Dramentraditionen der Frühen Neuzeit wieder einholen. Für eine Erfindung des frühneuzeitlichen Theaters aus der Perspektive des Spätmittelalters. Schlüsselwörter Theatergeschichte · Dispositiv · Frömmigkeit · Subjektivität · Selbstdisziplinierung · Imagination

The ›Dispositif of Devotion‹ A Frame for the History of Theatre? Abstract With the notion of the ›dispositif of devotion‹ the article proposes a model for a network of subjectivation strategies in which religious plays can be placed in the period before the invention of theatre as an institution. By abandoning the assumed alterity of medieval ›theatre‹, which maintains an orientation towards modern theatre, this piece pursues an approach leading away from questions of theatrical and literary history. Taking the religious drama traditions of the early modern period into account, however, these questions can then be addressed in a novel way: this article is therefore a call for discovering the invention of early modern theatre from the perspective of the late Middle Ages.

C. Schmidt () Seminar für Deutsche Philologie, Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen, Deutschland E-Mail: [email protected]

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C. Schmidt

Keywords Theatrical History · Dispositif · Devotion · Subjectivity · SelfDisciplining · Imagination

1 Theater als Dispositiv oder die Dispositive des Theaters Die Theatergeschichte der Neuzeit ist oftmals als Geschichte einer Disziplinierung erzählt worden.1 Insbesondere das Theater der Wanderbühnen dient in dieser Geschichte als negativer Bezugspunkt eines sich im 18. und 19. Jahrhundert herausbildenden ›bürgerlichen Theaters‹, dessen Telos in der Disziplinierung der theatralen Aktion durch einen autoritativen Dramentext ebenso liegt, wie in einer Disziplinierung der Zuschauer, die ihre Körper still- und ihre spontanen Reaktionen zurückzustellen haben, um sich, wie auch die Schauspieler, dem Regime eines Werkes und seiner Poetik unterzuordnen.2 Ist es eine Geschichte der Verfeinerung oder eine Verlustgeschichte? Die Verlustgeschichte könnte lauten: Was das Theater einmal war, ein Ort der Exaltiertheit und der improvisierten Geste, frei, ist zu einem Ort der Domestizierung geworden.3 Doch die aufgeräumte Stube des bürgerlichen Theaters provoziert in den antibürgerlichen Avantgarden des 20. Jahrhunderts eine Gegenbewegung, eine Re-Theatralisierung, die als De-Dramatisierung des Theaters, als Rebellion ge