Negative Religionsfreiheit
Unter negativer Religionsfreiheit versteht man die Freiheit, einen religiösen Glauben nicht haben zu müssen, ein religiöses Bekenntnis nicht abgeben zu müssen und religiöse Riten und Äußerungsformen nicht vollziehen und an ihnen nicht teilnehmen zu müssen
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Negative Religionsfreiheit
Unter negativer Religionsfreiheit versteht man die Freiheit, einen religiösen Glauben nicht haben zu müssen, ein religiöses Bekenntnis nicht abgeben zu müssen und religiöse Riten und Äußerungsformen nicht vollziehen und an ihnen nicht teilnehmen zu müssen. Ein solches Recht sah erstmals Artikel 5 § 18 des Gesetzes betreffend die Grundrechte des Deutschen Volkes von 1848 vor. Danach durfte niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Zugleich (Artikel 5 § 20) wurde die obligatorische Zivilehe eingeführt, die es ermöglichte, in den Stand der Ehe zu treten, ohne kirchliche Instanzen in Anspruch nehmen zu müssen. Vor Einführung der Zivilehe konnte eine rechtlich gültige Ehe nur vor der jeweiligen Staatskirche geschlossen werden, die Anders- oder Nichtgläubigen die Eheschließung verweigerte. Diese Situation gibt es in ähnlicher Weise heute noch in Israel. Zwar kann die Ehe dort nicht nur vor dem Orthodoxen Rabbinat geschlossen werden, sondern auch vor den Instanzen bestimmter christlicher Kirchen und muslimischer Moscheen. Keine dieser Institutionen vollzieht jedoch die Eheschließung von jeweils Andersgläubigen und gemischt religiösen Paaren oder von solchen, die keiner der anerkannten Religionsgemeinschaften angehören. Rechtlich wirksam wurde die negative Religionsfreiheit in Deutschland erst mit ihrer Umsetzung in der Weimarer Verfassung von 1919 (§ 136 Abs. 4). Danach darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Hinzu kommt die in § 136 Abs. 3 gewährleistete negative Bekenntnisfreiheit, wonach niemand verpflichtet ist, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren. Diese Regelungen sind durch Artikel 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert worden. Das Bundesverfassungsgericht hat die negative Religionsfreiheit erstmals im Jahre 1960 als Grundrecht bezeichnet (BVerfG 08.11.1960) und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat sich dem auch auf der europäischen Ebene angeschlossen (EGMR 03.06.2010). In diesem Kapitel soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit das Recht der negativen Religionsfreiheit menschenrechtlich verankert ist oder ob es sich nur um ein mehr oder weniger einsichtiges Toleranzgebot handelt. Es geht also um die Frage, ob in eine mit der Menschenwürde unvereinbare Lage gerät, wer gezwungen wird, gegen seinen Willen und gegen seine Überzeugung an religiösen Handlung,
P. Tiedemann, Religionsfreiheit – Menschenrecht oder Toleranzgebot?, DOI 10.1007/978-3-642-32709-4_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012
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Feierlichkeit oder religiösen Übungen teilzunehmen, sowie sich in einer Eidesformel oder auf andere Weise zu einer Religion zu bekennen. Darüber hinaus geht es um die Frage, ob jemand in eine menschenunwürdige Lage gerät, der gezwungen wird, sich zu jener religiösen Überzeugung zu bekennen, die er wirklich hat. Zunächst kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in eine mens
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