Verblindung und Bias
Wissen ist im Wesentlichen kein objektives Gut, sondern immer Konstrukt der jeweiligen Gesellschaft. So wissen wir heute, dass die Erde kugelförmig ist; einige Jahrhunderte zuvor „wussten“ unsere Vorfahren um ihre Scheibenform. Wahrnehmung wird also nicht
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Verblindung und Bias
▸ Verblindung ist notwendig, um einen systematischen Fehler zu vermeiden ▸ Ein systematischer Messfehler führt zu falschen Ergebnissen (Information Bias) ▸ Im Rahmen einer Fall-Kontrollstudie sollte den Untersuchern bei der Erhebung von Risikofaktoren nicht bekannt sein, ob es sich um einen Fall oder eine Kontrolle handelt ▸ Im Rahmen einer Kohortenstudie sollte den Untersuchenden bei der Erhebung des Endpunktes nicht bekannt sein, ob der Proband den Risikofaktor hat ▸ Bei randomisiert kontrollierten Studien darf die Gruppenzugehörigkeit nicht vorhersehbar sein, da es sonst zu einem selektiven Einschluss bzw. Nichteinschluss kommen kann (Allocation Concealment zur Vermeidung von Selection Bias)
8.1 Wir sehen nur, was wir sehen wollen Wissen ist im Wesentlichen kein objektives Gut, sondern immer Konstrukt der jeweiligen Gesellschaft. So wissen wir heute, dass die Erde kugelförmig ist; einige Jahrhunderte zuvor „wussten“ unsere Vorfahren um ihre Scheibenform. Wahrnehmung wird also nicht nur vom „wahren“ Zustand (wenn es diesen überhaupt gibt), sondern vom gesellschaftlich definierten Wahrnehmungsvermögen beeinflusst. Dieser Hintergrund ist wichtig, um zu verstehen, warum Verblindung in der klinischen Forschung so wichtig ist. Es ist eine menschliche Eigenschaft, Sachverhalte so zu sehen, wie sie am besten in unser Weltbild und Wertgefüge passen. Das heißt, wir haben vorgeprägte Anschauungen und Meinungen und handeln danach. Diese Prozesse laufen meist unbewusst ab. Verblindung im Rahmen der klinischen Forschung bedeutet, dass die Wahrnehmung so gut wie möglich aus dem Kontext genommen wird: Der Wahrnehmende hat nicht mehr die Möglichkeit, das Beobachtete so einzuordnen und zu bewerten, wie es am besten in die „Weltordnung“ passt.
H. Herkner et al., Erfolgreich wissenschaftlich arbeiten in der Klinik © Springer-Verlag/Wien 2011
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Vorgeprägte Anschauungen und Meinungen können die Ergebnisse von wissenschaftlichen Projekten auf besondere Art stören: Es kommt zu einem systematischen Messfehler, und was auch immer wir beobachten oder messen entspricht nicht dem wahren Effekt (siehe Kapitel 7, Day 2000). Wir möchten den Einfluss der (fehlenden) Verblindung auf den Messfehler gemeinsam mit verschiedenen Studienformen erklären.
8.2 Verblindung bei Fall-Kontrollstudien Fall-Kontrollstudien sind retrospektiv, das heißt, der Risikofaktor wird rückwirkend gemessen, nachdem der Endpunkt bereits eingetreten ist (siehe Kapitel 14). Hier muss man versuchen, die Untersucher, die den Risikofaktor erheben, zu verblinden. Das heißt, sie sollten nicht wissen, ob der betroffene Studienteilnehmer zu den Fällen oder den Kontrollen zählt. Selbst wenn die Risikofaktoren „hart“ sind, wie zum Beispiel in eine Krankenkurve eingetragene Laborwerte, sind unbewusste Rundungsfehler möglich. Wenn die Risikofaktoren „weich“ sind, also eine subjektive Einschätzung des Untersuchers notwendig ist, ist der Messfehler bei fehlender Verblindung mitunter beträchtlich. Wenn der Risikofaktor durch ein Interview e
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