Vom Blitzableiter zur Bad-Bank
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Vom Blitzableiter zur Bad-Bank Die Debatten um die Treuhandanstalt – und was sich daraus über das Verhältnis von Politikwissenschaft und Zeitgeschichtsforschung lernen lässt Marcus Böick
© Der/die Autor(en) 2020
1 Einleitung: der Schock von 1990 und die Starre von 2020 Löst die „Neue Normalität“ des Jahres 2020 nun endgültig das vielzitierte (und meist wenig gelesene) „Ende der Geschichte“ des Jahres 1990 als zentrale epochale Zäsur ab? Wie verhalten sich andere historische Einschnitte der vergangenen Jahrzehnte – etwa die Jahre 2001 (Terrorattacken), 2008 (Finanzmarktkrisen) oder 2015 (Migrationsdebatten) – zu diesen allerjüngsten Dynamiken? (Fukuyama 1992) Hierüber wird man in den nächsten Jahren und Jahrzenten sicher trefflich in und zwischen den verschiedenen Disziplinen streiten können; aus zeithistorischer Perspektive scheint vor allzu starken Qualifizierungen oder superlativischen Dramatisierungen noch etwas abwartende Zurückhaltung angebracht. So warnten Ökonomen und Politiker angesichts der derzeitigen einschneidenden Maßnahmen im Zuge der Covid19-Pandemie schon im Frühjahr vor der „größten Krise“ wahlweise seit 1945, 1929, 1919, des letzten Jahrhunderts oder gar der gesamten „Menschheitsgeschichte“. Die langfristigen strukturellen Konsequenzen wie mentalen Folgewirkungen sind indes nur schwer absehbar, da sich Deglobalisierungprozesse und Digitalisierungsdynamiken eigentümlich zu vermischen und insbesondere die schon so oft verabschiedeten Nationalstaaten als gestaltungsmächtige Akteure mit ihrer Regulierungs- und Interventions-Macht eindrucksvoll auf die Weltbühne zurückgekehrt scheinen. Ein heimisches Opfer der Corona-Entwicklungen steht jedoch bereits fest – das Gedenkjahr 2020. Mit dem abrupten Ausfall zahlreicher Konferenzen, Podiumsdiskussionen und Festveranstaltungen ist – zumindest vorerst – eine intensive Diskussion unvermittelt abgebrochen, die seit 2015 zunehmend an Fahrt gewonnen hatte. Hatten in den Jahrzehnten zuvor eine offiziöse (westdeutsche) Heldengeschichte vom normalisierenden „Erfolg“ von Revolution, Einigung und „Aufbau Ost“ mit einer Dr. M. Böick () Professur für Zeitgeschichte/Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland E-Mail: [email protected]
K
M. Böick
untergründigen (ostdeutschen) Opfergeschichte einer „Kolonialisierung“ mehr oder weniger unverbundenen nebeneinander ihr geschichtspolitisches Dasein gefristet, haben sich die Diskussionen in den letzten Jahren erheblich pluralisiert und dynamisiert. Diese oft recht nabelschauartigen Re-Bilanzierungsversuche in Deutschland sind auf ein komplexes Bündel an politischen, gesellschaftlichen wie generationellen Ursachen zurückzuführen: die wachsende zeitliche Distanz, die Erfolge der AfD gerade im Osten, der allmähliche Abschied der deutungsmächtigen Zeitzeugen und Geschichtspolitiker, die veränderten Blickwinkel jüngerer (Forscher/innen-)Generationen mit Biografien jenseits vermeintlich eindeutiger Ost-West-Dichotomien sowie europäische oder globale Perspektivsetzungen dienen als zentrale Impulse. In
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