Wie hat sich die Sicht auf Schmerz von der Renaissance bis heute entwickelt?
- PDF / 369,931 Bytes
- 5 Pages / 595.276 x 790.866 pts Page_size
- 73 Downloads / 231 Views
Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e. V.
Philosophie und Schmerz (Teil 2)
Wie hat sich die Sicht auf Schmerz von der Renaissance bis heute entwickelt? In Teil 1 (Schmerzmedizin 2020;36(5):65-9) wurden die schon im Altertum entwickelten, ethischen Konzepte und Prinzipien für das menschliche und zwischenmenschliche Leben umrissen. Nun blicken wir auf die philosophischen Stellungnahmen zur Frage des Schmerzes, beginnend in der Renaissance bis hin zur Postmoderne. Die großen Denker dieser Epochen f assten Schmerz zunehmend individueller und differenzierter auf, was sich auch in der heutigen Behandlung widerspiegeln sollte.
I
© GeorgiosArt / Getty Images / iStock
n der Renaissance, als die Kultur der Antike wiedergeboren wurde, der von Johannes Gutenberg entwickelte Buchdruck mit beweglichen Lettern eine breitere Bildung ermöglichte, als der Kompass erfunden und Amerika entdeckt wurde, als Galileo Galilei Experimente durchführte, ein Fernrohr baute und damit neue Wahrnehmungsbereiche erschloss, erfolgte in Europa die Zu-
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) hob in der Neuzeit das Individuelle des Schmerzes hervor.
42
wendung zum Individuum, zum Subjekt. Dem persönlichen Leiden wurde mehr Beachtung geschenkt.
In der Neuzeit Der französische Philosoph, Physiker und Mathematiker René D escartes (1596–1650) hat die Gesundheit als „das erste Gut und die Grundlage aller anderen Güter dieses Lebens“ [1] bezeichnet. Schmerz maß er an mehreren Stellen seines Werkes eine besondere Beachtung bei. Er abstrahierte res cogitans, das Denken, die Vernunft, die innere Welt mit dem unteilbaren Geist von der res extensa, der Außenwelt, den Körpern mit Ausdehnung. Dennoch, so führte er aus, „erkenne ich mich als ein durchaus einheitliches und ganzes Ding. Und wenngleich der ganze Geist mit dem ganzen Körper verbunden zu sein scheint, so erkenne ich doch, dass, wenn man den Fuß oder den Arm oder irgendeinen anderen Körperteil abschneidet, darum nichts vom Geiste weggenommen ist […] dass der Geist nicht von allen Körperteilen unmittelbar beeinflusst wird, sondern nur vom Gehirn“ [2] oder: „Ferner lehrt mich die Natur durch jene Schmerz-, Hunger- Durstempfindungen usw., dass ich meinem Körper nicht nur wie ein Schiffer seinem Fahrzeug gegenwärtig bin, sondern dass ich ganz eng mit ihm verbunden und gleichsam vermischt bin, sodass ich mit ihm eine Ein-
heit bilde“ [2]. Er stellte ein Reiz-Reaktions-Schema auf, das bis heute dominiert, allerdings in verschiedenen Modifikationen [3]. Der mechanistischen Auffassung von Descartes widersprach schon der deutsche Philosoph, Mathematiker, Jurist, und Historiker Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716): Dass der Mensch „eine bloße Maschine, wie ein Uhrwerk sei […] sein Körper ist wirklich eine Maschine und handelt nur wie eine solche; seine Seele ist dennoch eine freie Ursache […] die natürlichen Kräfte der Körper sind ganz den mechanischen Gesetzen, die der Geister dagegen gänzlich den moralischen Gesetzen unterworfen. Die ersteren folgen der Ordnung der wirkenden Ursachen; die letzte
Data Loading...