Zurstiege, Guido : Taktiken der Entnetzung. Die Sehnsucht nach Stille im digitalen Zeitalter

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Zurstiege, Guido: Taktiken der Entnetzung. Die Sehnsucht nach Stille im digitalen Zeitalter Berlin: Suhrkamp 2019. 297 Seiten. Preis: C 18,00 Christian Pentzold

© Der/die Autor(en) 2020

Keine Bewegung ohne Gegenbewegung. Es scheint eine mediengeschichtliche Konstante, dass technologischer Fortschritt und kommunikative Innovationen stets traditionalistische oder fortschrittspessimistische Reaktionen auslösen – angefangen bei der Ablehnung der Schrift über die Skepsis gegenüber fotografischen Reproduktionen bis hin zur Verweigerung von Smartphones. In dieser Logik einer dialektisch verlaufenden Medien- und Gesellschaftsentwicklung folgen auf Vernetzungsprozesse gegenläufige Initiativen der Entnetzung. Diese sind Gegenstand des vorliegenden Buches. Gegen den Imperativ der zunehmenden Kommunikation, intensiveren Konnektivität und gesteigerten Mediatisierung beobachtet Guido Zurstiege Formen des medienbezogenen Verzichts, der Medienabstinenz bzw. der Selbstverteidigung gegen überhandnehmende Erreichbarkeitszwänge. Es fällt nicht leicht, das Buch in geläufige wissenschaftliche Formate einzuordnen. Die Abhandlung hat einiges gemeinsam mit Publikationen von public intellectuals aus dem angelsächsischen Raum: sie schaltet sich in ein Thema von gesellschaftlicher Relevanz und Aktualität ein, es berücksichtigt tagesaktuelle Debatten und verarbeitet wissenschaftliche Studien, ohne aber selbst auf einem extensiven empirischen Forschungsvorhaben nach den Regeln des Fachs zu gründen oder sich in das Korsett eines buchgewordenen Projektberichts zu fügen. Im Grunde ist der Band Pathologie und Therapie zugleich; gegen Lärm setzt er Stille, gegen Kontrollverlust zeigt er Wege des Kontrollgewinns auf. Seine Einsichten zum Unbehagen an der aktuellen Medienkultur hat der Autor erklärtermaßen an jahrelanger Selbstbeobachtung, bei aufmerksamer Lektüre und in persönlichen Gesprächen gewonnen. Sie werden verknüpft mit vornehmlich sozialund kommunikationswissenschaftlicher Forschung zum Medienverzicht und zum Prof. Dr. C. Pentzold () Universität Leipzig, Leipzig, Deutschland E-Mail: [email protected]

K

C. Pentzold

bewusst-reflektierten Mediengebrauch bis hinein ins 19. Jahrhundert. Theoretische Orientierung liefert de Certeaus Unterscheidung in die Strategien gesellschaftlicher Eliten und dominanter Institutionen einerseits und die eigensinnigen bis subversiven Taktiken „von unten“ andererseits. Zurstiege behandelt verschiedene Facetten gegenwärtiger Mediennichtnutzung und den damit verknüpften, sehr unterschiedlich gelagerten Gründen. Medienverzicht kann situativ oder langfristig sein; bewusst oder unbewusst geschehen; generell alle digitalen Angebote oder nur einzelne vernetzte Technologien bzw. Kommunikationsformen betreffen. Dabei macht Zurstiege deutlich, dass ein Komplettausstieg Fiktion ist, und er zeigt auf, dass die Misere vielfältig ist. Das Bedürfnis nach Rückzug aus einer medial überreichen, von kommunikativen Angeboten und Diensten durchdrungenen Lebenswelt stellt sich immer drängender angesichts einer Lit