Das Coronavirus
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Das Coronavirus Überlegungen zu einem bedrohlichen Fremdkörper Bernd Heimerl
© Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
Zusammenfassung Das Virus – aktuell das Coronavirus – lässt sich psychoanalytisch als Metapher für Fremdheit, Vertrautheit und Unheimlichkeit lesen und erinnert das Subjekt an die Begrenzungen des körperlich Kontrollierbaren. Das Coronavirus und damit die „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) fordern die Psychoanalyse heraus, sich mit der unbewussten, verdrängten Dynamik des Virus und vor allem mit der Virusmetapher zu beschäftigen. Das Virus ist ein komplexes begriffliches Gefüge, dessen Wirkung weit über den biologischen Erreger hinausgeht. Epidemische Krankheiten sind schon immer ein Bild für gesellschaftliche Unordnung und werden auch als Erklärung für deren Erscheinen genutzt: die Ödipus-Sage und die Pest über Theben sind prominente historische Beispiele und verweisen auf eine transgenerationale familiäre (sexuelle) Unordnung. Das Virus wird als eindringendes Element in die eigene unbekannte Zelle, den Einzelkörper und den kollektiven Körper verstanden; es ist das bedrohlich Fremde schlechthin und gleichzeitig Synonym für höchste Flexibilität. Dieses spezifische Eindringen in den eigenen Körper evoziert eine archaische Angst mit den frühen Abwehrmechanismen der Spaltung zwischen Verleugnung, Introjektion und Projektion, jedoch auch Immunität. Wenn heute von einem Virus gesprochen wird, meinen wir vor allem stets das eine: einen Eindringling, der von einem Organismus, einem Körper Besitz ergreift, um dort eine symbiotische Beziehung mit dem Wirt einzugehen. Eine Analogie zur Besetzung des Ich mit Über-Ich- oder Es-Anteilen. Aktuell werden wir Zeuge, wie diese Auswirkungen des Coronavirus das Subjekt psychisch beeinflussen: Verleugnung, Spaltung, paranoische Verschwörungstheorien, freiwillige schizoide Isolation und die Mundschutzdebatte.
Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. B. Heimerl () Rognitzstr. 10, 14057 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]
K
B. Heimerl
The coronavirus Deliberations on a threatening foreign body Abstract The virus, currently the coronavirus, can be read psychoanalytically as a metaphor for strangeness, familiarity and uncanniness and reminds the subject of the limitations of what is physically controllable. The coronavirus and thus coronavirus disease 2019 (COVID-19) challenges psychoanalysis to deal with the unconscious, repressed dynamics of the virus and, above all with the virus metaphor. The virus is a complex conceptual structure, the effects of which go far beyond the biological pathogen. Epidemic diseases have always been an image of social disorder and are also used as an explanation for their appearance: Oedipus and the plague over Thebes is a prominent historical example and refers to a transgenerational familial (sexual) disorder. The virus is understood as an invading element into one’s own unknown cell, understood as the individual body and the collective body; it is the threatening stranger par excellence and at the s
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