Film-Klassiker 120 Filme

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Verlag J. B. Metzler Stuttgart · Weimar

Abschied von gestern 1 .........................................................................................................................................................

À bout de souffle ä Außer Atem Abschied von gestern Bundesrepublik Deutschland (Kairos/Independent) 1965/66. 35 mm, s/w, 88 Min. R: Alexander Kluge. B: Alexander Kluge, nach seiner Erzählung »Anita G.«. K: Edgar Reitz, Thomas Mauch. S: Beate Mainka. D: Alexandra Kluge (Anita G.), Edith Kuntze-Peloggio (Bewährungshelferin Treiber), Palma Falck (Frau Budek), Käthe Ebner (Frau des Chefs der Schallplattenfirma), Hans Korte (Richter), Alfred Edel (Universitätsassistent), Fritz Bauer (Generalstaatsanwalt). Abschied von gestern gilt als programmatischer Auftakt zum Neuen deutschen Film, dessen künstlerischer Anspruch 1962 in Oberhausen unter Mitwirkung von Kluge formuliert wurde. Während die etablierte Filmwirtschaft, als ›Papas Kino‹ verhöhnt, sich in der Krise befand, nutzte eine Gruppe von Filmemachern, die bislang nur durch Kurzfilme hervorgetreten waren, die Situation, um ihre eigenen Vorstellungen zu realisieren. Auch auf filmpolitischem Gebiet waren sie erfolgreich: Kluge war als Initiator wesentlich beteiligt an der Schaffung einer bundesdeutschen Filmförderung. Abschied von gestern war der erste Film, der mit Mitteln des neu gegründeten Kuratoriums ›Junger deutscher Film‹ entstand. Mit einer Gerichtsverhandlung wird Anita G. eingeführt: Der Jüdin, in der DDR aufgewachsen und1957 in den Westen gekommen, wird vorgeworfen, eine Strickjacke gestohlen zu haben. Die Reststrafe wird zur Bewährung ausgesetzt, doch flieht sie vor der Bewäh-

rungshelferin, die sie mit hohlen christlichen Sprüchen traktiert. Anita G. erlebt verschiedene Ausschnitte bundesdeutscher Wirklichkeit: Sie arbeitet als Vertreterin einer Schallplattenfirma, wird Zimmermädchen, besucht die Universität. AmEnde steht immer eine Flucht: Sie kann ihre Rechnungen nicht bezahlen, wird des Diebstahls bezichtigt. Anita hat kein Verhältnis zum Geld, sie kennt die Rituale und Normen der Gesellschaft nicht. Mit einem Ministerialrat beginnt sie ein Verhältnis, doch auch er kann ihr nicht helfen und will sie nur »erziehen«. Schließlich stellt sie sich der Polizei, wird erneut verurteilt und bekommt im Gefängnis ein Kind. Kluge zeichnet ein Psychogramm der bundesdeutschen Verhältnisse Anfang der sechziger Jahre. Anita G. kann sich nicht in die Gesellschaft integrieren, weil sie die Vergangenheit noch nicht bewältigt hat. Der Holocaust, zu dieser Zeit in der Bundesrepublik noch ein Tabu-Thema, ist im Film ständig präsent. Von der unbearbeiteten Angst kann Anita sich nicht befreien; immer wieder drängen Bilder aus ihrer Kindheit hervor – Postkarten, Familienfotos, nicht immer sofort entschlüsselbar –, übermannen sie Verfolgungsvisionen, in denen Figuren aus ihrer Gegenwart, wie z. B. die Bewährungshelferin, auftreten. Die elliptische Erzählweise verdeutlicht schon in ihrer Struktur das zentrale Problem: die Entfremdung des einzelnen in der Gesellscha