Cocooning: Umwelt und Geschlecht. Einleitung
- PDF / 267,015 Bytes
- 10 Pages / 439.37 x 666.142 pts Page_size
- 48 Downloads / 207 Views
des Milieus, der Umgebung, der Umwelt, so schreibt der Philologe Leo Spitzer am Ende seiner Begriffsgeschichte „Milieu and Ambiance“ (), drücke das fundamentale Bedürfnis des Menschen nach Geborgenheit und Sicherheit aus. Im Bild der Hülle oder Eierschale, des Gefäßes („receptacle“) und der Umarmung käme dies wieder und wieder zum Ausdruck. Nicht zufällig verwendet der renommierte Stilkritiker die Formulierung „idée-mère“ (Ur-Idee), handle es sich doch um eine Projektion des „Gefühls des Kindes in seiner Hülle, geschützt im Bauch seiner Mutter“. Für Spitzer symbolisierte der Mutterleib jenes hegende, „warme“ Umweltverständnis, das er deterministischen Milieubegriffen entgegenstellte. Dabei deckt seine Bemerkung nicht nur ein grundlegendes Denkmuster auf, sondern verweist zugleich auch auf eine Leerstelle, die den Ausgangspunkt der hier versammelten Beiträge bildet: Vorstellungen von Atmosphäre und Weiblichkeit sind aufs Engste verknüpft, Umwelt ist weiblich codiert. Statt dies zur anthropologischen Konstante zu erklären, historisieren die hier versammelten Beiträge den Zusammenhang von Umwelt und Geschlecht. Sie wenden sich der Frage zu, auf welche Weise Frauen für die Herstellung, gar Verkörperung der Umwelt verantwortlich gemacht wurden. Ökologie und care sind nicht getrennt zu denken: Die Gesamtheit der Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihren Umwelten ist stets an Tätigkeiten der Fürsorge gebunden. Damit bedingen die gegenwärtige ökologische Krise und die „crisis of care“ einander, genauso wie die Produktion von der Reproduktion, das Büro und die Fabrik von der Familie abhängen (Fraser ). Doch in der Forschung wurde die konstitutive Beziehung von „Umgebungswissen“ (Wessely ) und Geschlecht bisher kaum beleuchtet. Die Umgebungen der alltäglichen Lebenswelt, der kulturellen Nahbereiche oder der humanwissenschaftlichen Disziplinen – die
K
Editorial
N.T.M. https://doi.org/./s--- © Der/die Autor(en)
Susanne Schmidt, Lisa Malich
Umwelten des Zuhauses, des Kinder- oder Krankenbetts ebenso wie der emotional-psychischen Beziehungen – finden selten Berücksichtigung. Gerade diese Umwelten sind jedoch, so die zentrale These des Themenhefts, weiblich codiert und bedürfen einer genaueren Reflexion. Wissenschafts-, medizin- und technikhistorische Beiträge zu Umweltthemen haben sich bisher vor allem mit zwei Aspekten befasst: erstens mit auf den individuellen Körper zentrierten Konzepten des „inneren“ Milieus, etwa in Endokrinologie, Genetik oder Toxikologie, und zweitens mit Vorstellungen der Umwelt als Teil einer kultiviert-natürlichen Außenwelt, zum Beispiel in Ökologie oder Botanik. Dabei waren Arbeiten zum zweiten Themenspektrum in den er und er Jahren oft von der Umweltbewegung geprägt (Benson ). Sie folgten zunächst einem Verständnis von Umwelt als nicht-menschlicher Natur, bis Anfang der er Jahre eine stärkere Reflexion auf das Umweltkonzept selbst einsetzte. Doch auch viele rezente historische Ansätze betonen zwar den sozio-naturalen Charakter von Umwelte
Data Loading...