Soziologie der Gewalt

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Soziologie der Gewalt Andreas Braun

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

Hoebel, Thomas, und Wolfgang Knöbl: Gewalt erklären! Plädoyer für eine entdeckende Prozesssoziologie. Hamburg: Hamburger Edition 2019. 223 Seiten. ISBN: 978-3-86854-335-3. Preis: C 22.

Die in den letzten Dekaden der (noch jungen) sozialwissenschaftlichen Gewaltforschung geführten Debatten um konzeptuelle Weiterentwicklungen haben zu fruchtbaren Erkenntnissen geführt. Mit Blick auf das zentrale Anliegen jeglicher wissenschaftlichen Forschung, das Erklären, lässt sich aber ein deutliches Manko konstatieren: Es wurde grundlegend „versäumt zur Frage der Erklärung klar Stellung zu nehmen“ (S. 8), so Thomas Hoebel und Wolfgang Knöbl zu Beginn ihrer lesenswerten Monografie. Der vernachlässigte Blick auf methodologische Grundfragen bezüglich explikativ relevanter Kausalannahmen, ontologischer wie epistemologischer Prämissen oder der konträren Behandlung von Beschreibung und Erklärung (S. 14–18, S. 49, S. 133–144) untergräbt den Autoren zufolge nicht nur das (künftige) Potenzial gewaltsoziologischer Forschung, sondern verweist auf eine drohende Stagnation (S. 195) – vor allem im Zuge situationistischer Forschungen. Damit konfrontiert „Gewalt erklären!“ die aktuelle gewaltsoziologische Forschung in doppelter Hinsicht: Zum einen soll und muss jenes „wissenschaftstheoretische Desinteresse“ (S. 18) aufgehoben und Fragen nach methodologischen Grundlagen sowie der Erklärung für künftige Weiterentwicklungen ernstgenommen werden – zu Recht. Zum anderen sinnen die Autoren mit ihrem „Plädoyer für eine entdeckende Prozesssoziologie“ auf

A. Braun () Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld Universitätsstr. 25, 33615 Bielefeld, Deutschland E-Mail: [email protected]

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A. Braun

die Überwindung der drohenden Stagnation mithilfe eines prozessualen Ansatzes, der gegenüber anderen in der Lage ist, Gewalt valide zu erklären (S. 15). Beide Aspekte sind hierbei argumentativ stringent verbunden und werden vor dem Hintergrund der eigenen wissenschaftstheoretischen Prämissen entfaltet (Kapitel 2). In der Sichtung der Forschungslandschaft als Ökologie werden – unter Rekurs auf A. Abbott und J.L. Martin – systematisch drei Heuristiken rekonstruiert, die unter „den Schlagworten ,Motive‘, ,Situationen‘ und ,Konstellationen‘“ (S. 38) subsumiert werden. Im Zuge eines weiten Erklärungsverständnisses, das Erklären und Beschreiben nicht konträr behandelt, und einem Kausalitätsverständnis, das sich konsequent auf Ereignistransitivitäten, Temporalitäten und maßgeblich auf (dynamische) Verursachungen statt auf Ursachen bezieht (Kapitel 2, S. 48–60, S. 157), wird jenen Heuristiken ein kausaltheoretisch wie explikativ defizitärer Charakter attestiert (Kapitel 3). Dieser wird bezüglich der konstatierten Aporien nicht zuletzt auf das Problem der „Mikro-Makro-Semantik“ (S. 144) zurückgeführt (Kapitel 4). So sind z. B. raum-zeitlich-stabile Motivannahmen (S. Kalyvas) eben nicht ex ante handlungsbestimmend, sondern nur retrospektiv un