Vom Umgang mit der Geschichte

Die Sozialwissenschaft befasst sich mit Problemen der Biographie, der Geschichte und der Schnittmenge beider in einer gegebenen Gesellschaftsstruktur. Dass diese drei – Biographie, Geschichte und Gesellschaft – die Koordinatenpunkte jeder vernünftigen For

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REPORT


Charles Wright Mills

Soziologische Phantasie

Edition Theorie und Kritik Herausgegeben von R. Jaeggi, Berlin, Deutschland S. Lessenich, München, Deutschland H.-P. Müller, Berlin, Deutschland

Dass die westliche Moderne mit ihrer spezifischen Kombination von demokratischer Politik und kapitalistischer Ökonomie eine grundsätzlich prekäre und strukturell krisenhafte Gesellschaftsform darstellt, konnte sich in den glücklichen Nachkriegsjahrzehnten politischer Stabilität und wirtschaftlicher Prosperität von einer gesellschaftlichen Alltagserfahrung in abstraktes sozialwissenschaftliches Wissen verwandeln. Zuletzt aber ist die Erfahrung der Kri­ se mit einer Macht in die soziale Welt der reichen Demokratien zurückgekehrt, die viele nicht mehr für möglich gehalten hätten. Krise und Kritik, so heißt es, sind einander ständige Begleiter, Geschwister im Geiste der gesellschaftlichen Moderne. Doch herrscht selbst angesichts des erneuerten demokratisch-ka­ pitalistischen Krisenszenarios eine erstaunliche, ja unheimliche Ruhe an der Front der Kritik. Ein – vielleicht entscheidender – Grund für die ebenso merkwürdige wie be­merkenswerte Absenz der Kritik in der Krise ist die diffuse Lage der sozial­ wissenschaftlichen Theoriebildung. Zum einen gibt es keine Großtheorien mehr – und wenn, dann vermögen sie zu den aktuellen Krisenszenarien nicht viel zu sagen. Zum anderen scheuen viele theoretische Positionen den – und sei es impliziten – Anschluss an die der Marxschen Kapitalismusanalyse zu­grundeliegende Trias von Gesellschaftstheorie, Gesellschaftsanalyse und Ge­sellschaftskritik. Im Zweifel berufen sie sich dabei auf ein falsch v­ erstandenes Postulat wissenschaftlicher Werturteilsfreiheit im Sinne Webers, das so gedeu­ tet wird, als schließe dieses eine Praxis wissenschaftlicher Kritik aus – dabei fordert es umgekehrt eine kritische Gesellschaftsanalyse geradezu heraus. Die „Edition Theorie und Kritik“ schließt an eine Sozialwissenschaft in der Tradition von Marx und Weber an, indem sie Publikationen präsentiert, die die Professionalität der Wissenschaft mit der Intellektualität kritischer Refle­ xion zu verbinden verstehen. Sie ist offen für unterschiedlichste theoretische Ansätze und sämtliche Spielarten kritischer Perspektivierung, für Systemati­ sches ebenso wie für Essayistisches, für Aktuelles wie Zeitloses – also für alles, was als Gesellschaftsanalyse im Namen von Theorie und Kritik antritt. Auf diese Weise wollen wir dazu beitragen, dass Kritik hierzulande wieder salonfähig wird, wissenschaftlich wie gesellschaftlich. Die Lage ist ernst, aber einfach: Was heute gefragt ist, sind gesellschaftliche Zeitdiagnosen und utopische Gesellschaftsentwürfe in kritischer Absicht. Nur so werden sich die Konturen westlicher Modernität auch im 21. Jahrhundert wissenschaftlich wie gesellschaftlich fortentwickeln lassen.

Herausgegeben von Rahel Jaeggi Berlin, Deutschland Stephan Lessenich München, Deutschland

Hans-Peter Müller Berlin, Deutschland

C. Wright Mills

Soziologische Phantasie Herausgegeben von Prof. Dr. Stephan Lesse