Welchen Wert hat das Leben noch?
- PDF / 211,324 Bytes
- 2 Pages / 595.276 x 790.866 pts Page_size
- 0 Downloads / 236 Views
Medizin ak tuell
Debatte zur Neufassung des § 217 StGB
Welchen Wert hat das Leben noch? Das Urteil zu § 217 des Strafgesetzbuches wird intensiv und kontrovers diskutiert – zumal es bei diesem Diskurs um die fundamentalen gesellschaftlichen Wertvorstellungen über die menschliche Existenz geht. Eine Grenzfrage, die einer reiflichen Erörterung bedarf.
A
uch mit der alten Fassung des § 217 StGB gab es in der Praxis nie Probleme, Palliativpatienten optimal zu behandeln und Sterbewilligen auf deren Fragen zu Suizidmethoden Rede und Antwort zu stehen oder auch in besonderen Einzelfällen Suizid zu fördern. War ein Leidender bereit, Hilfen anzunehmen, konnte ihm geholfen werden.
Interpretation der Norm – Diskurs oder Meinungsmache? Geradezu absurde Strafbarkeitserwägungen wurden herbeigeredet, um die Bestimmtheit der Norm infrage zu stellen. Offenbar las niemand den Gesetzestext: Selbstverständlich setzte die Be-
20
strafung „Absicht“, also den ganz im Vordergrund stehenden Willen zur Suizidhilfe voraus: Die Selbsttötung des anderen zu fördern, musste das bestimmende Ziel des (ärztlichen) Handelns sein. Niemand konnte daher ernsthaft in Erwägung ziehen, dass ein Arzt sich strafbar machte, wenn er über Suizidmethoden informierte oder Medikamente in tödlicher Gesamtdosis überließ – denn wohl niemals kommt es dem Arzt dabei darauf an, dass der von ihm betreute Patient sich dann tötet statt therapeutische Dosen zu sich zu nehmen. Bei der bloßen Information über Suizidmethoden spielt dies aber ohnehin keine Rolle, weil schon der „objektive Tatbestand“ nicht verwirklicht war: Wer abs-
trakt Methoden benennt, „gewährt, verschafft oder vermittelt“ höchstens das Wissen, aber in keiner Weise die „Gelegenheit“ zur Selbsttötung. Die Interpretation von Gesetzen, allem voran im Strafrecht, setzt konkrete Beschäftigung mit dem Wortlaut einer Norm voraus – und muss ihn erstnehmen. Wer darauf verzichtet, kann im juristischen Diskurs nicht ernsthaft mitwirken, sondern betreibt Meinungsmache und schürt zweckgerichtet Angst.
Lebensschutz wiegt jetzt geringer Existenzielle Fragen zu Sterben und Tod, die einer breiten gesellschaftlichen Diskussion und Entscheidung durch das Volk bedürfen und nach reiflicher ErörSchmerzmedizin 2020; 36 (5)
terung durch die „Vertreter des ganzen Volkes“ (Art. 38 Abs. 1 GG) entschieden worden sind, dürfen nicht von einer Handvoll Richterpersonen abweichend beantwortet werden. Mancher Beschwerdeführer war über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) überrascht, stellt es doch den Grundwert des Lebens an sich zur Disposition: Kein Sterbewilliger darf in seiner bevorzugten Methode zur Lebensverkürzung behindert werden, auch wenn hierdurch die Suizidzahlen steigen werden. Lebensschutz wiegt jetzt geringer als das individuell empfundene Selbstbestimmungsrecht einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe und (irgend)eines Einzelnen. Dass das Verbot der Tötung auf Verlangen in der Folge fallen wird, ist eine Frage der Zeit.
Palliativversorgung als lebensbejahende Alternative Menschen sind einzigartige,
Data Loading...