Die Seuche am Hals

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REPORT


FORUM EINSICHTEN EINES INFORMATIKERS VON GERINGEM VERSTANDE

Die Seuche am Hals Reinhard Wilhelm1 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

Rechtschreibhilfen und automatische Wortvervollständigung sind zwei der größten Errungenschaften auf unseren modernen Helferlein. Den ersten Buchstaben eingetippt, und schon ahnt die Vervollständigung, wie es weitergehen soll. Ein paarmal mit trüben Augen danebengetippt, schon wird der eingegebene Müll selbstverständlich genau zum Gewünschten korrigiert. So ersparen die beiden vielen Nutzern das Karpaltunnelsyndrom an den Daumen. Andernfalls hätten Heerscharen von Menschen wegen eingegipster Daumen keine Möglichkeit mehr, mit der Außenwelt die überlebensnotwendige Kommunikation über ihre gegenwärtige Aufenthaltsposition, ihren Gemütszustand, den gerade gesichteten extrem wichtigen Mitmenschen samt seiner Begleitung und beider absolut umwerfender textiler Ausstattung abzuwickeln. Mithin dürfte klar sein, dass unser Leben ohne diese Errungenschaften schlicht nicht mehr vorstellbar ist. Wenn man das segensreiche Wirken dieser Helferlein beobachtet, stellen sich Fragen über ihre Arbeit, nämlich das Warum und das Wie. Nicht immer erschließt sich der tiefe Sinn der vorgenommen Korrekturen. Schon ein Informatikstudent in den Anfangssemestern wird verstehen, dass der Hamming-Abstand, die minimale Anzahl der notwendigen Ersetzungs-, Einfügungs- und Löschungsoperationen zwischen Ausgangsterm und Zielterm, eine Rolle spielen sollte. Tatsächlich führen die Korrekturen häufig zu Zieltermen mit kleinem oder sogar minimalem Hamming-Abstand. Aber manchmal bleibt die Frage nach der Motivation, dem Warum, für die Korrektur doch offen. Wenn man sich Tag und Nacht für die Aufklärung eines großen Publikums über die Errungenschaften der Informatik engagiert wie dieser Autor, dann verfolgt einen diese Aufgabe bis tief in die Nacht. Darunter leidet selbstverständlich der Nachtschlaf, weit über das Ausmaß der präse-

nilen Bettflucht hinaus. Die Mitteilung über das Schlafdefizit benutzt die Bezeichnung „Scheißnacht“, welches offensichtlich nicht den geäpfelten moralischen Maßstäben genügt und zu „Schweißnaht“ korrigiert wird. Über die moralische Rechtfertigung der Ersetzung mag man streiten. Aber was den Hamming-Abstand angeht, sieht man schnell: Nur eine Einfügung und eine Löschung waren notwendig, um von „Scheißnacht“ zu „Schweißnaht“ zu kommen. In den Zeiten der Corona-Pandemie deckt die Kommunikation ganz neue Aspekte ab. Ein Kollege kündigt an, dass mir für einen kürzlich verliehenen Preis eine Seuche, a plague, zugestellt werden würde. Das muss jetzt nicht sein; man gehört ja schließlich zu einer Risikogruppe. Außerdem muss die Seuche nicht erst zugestellt werden, sie ist ja schon da. Der Hintergrund: Die Rechtschreibhilfe seines Klugphons hatte klar erkannt, dass in den gegenwärtigen Zeiten „plague“ situationsbedingt passender wäre als „plate“. Hier gilt ebenfalls das oben Gesagte, wenn schon Korrigieren, dann mit kleinem Hamming-Abstand. Dass dem durchaus nicht imme