Diskriminierung und Diskriminierungskritik: eine problemsoziologische Analyse
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Diskriminierung und Diskriminierungskritik: eine problemsoziologische Analyse A. Scherr
Eingegangen: 29. März 2020 / Angenommen: 11. September 2020 © Der/die Autor(en) 2020
Zusammenfassung Ein Verständnis von Diskriminierung als soziales Problem kann einen breiten gesellschaftlichen Konsens für sich beanspruchen. Denn es wird als ein Kennzeichen moderner, den normativen Prinzipien der Menschenrechte verpflichteter Gesellschaften angesehen, dass Diskriminierung aufgrund zugeschriebener oder tatsächlicher Kollektivmerkmale, z. B. aufgrund der Religionszugehörigkeit, des Geschlechts und der sexuellen Orientierung, aufgrund von Behinderungen oder von Ethnizität, als unzulässig gilt. Demgegenüber wird hier in einer problemsoziologischen Perspektive aufgezeigt, warum dieser Konsens fragwürdig und brüchig ist, sowie warum Diskriminierung auch nicht allein als Effekt tradierter Vorurteile und obsoleter Ideologien, sondern nur dann zureichend verstanden werden kann, wenn auch gesellschaftsstrukturelle Bedingungen von Diskriminierung und die Verwendung diskriminierender Unterscheidungen durch Organisationen berücksichtigt werden. Aufgezeigt werden damit Grundlagen und Perspektiven einer problemsoziologisch informierten Diskriminierungsforschung.
A. Scherr () Institut für Soziologie, Pädagogische Hochschule Freiburg, Kunzenweg 21, 79117 Freiburg, Deutschland E-Mail: [email protected]
K
A. Scherr
Discrimination and Critique of Discrimination: an Analysis from the Perspective of the Sociology of Social Problems Abstract An awareness of discrimination as a social problem can claim a broad social consensus. For it is regarded as a characteristic of modern societies committed to the normative principles of human rights that discrimination on the basis of attributed or real collective characteristics, e.g. on the basis of religious affiliation, gender and sexual orientation, on the basis of disabilities or ethnicity, is considered unacceptable. In contrast to this, it is shown here why this consensus is questionable and fragile, as well as why discrimination cannot be understood solely as an effect of handed down prejudices and obsolete ideologies, but can only be understood sufficiently if socio-structural conditions of discrimination and the use of discriminatory distinctions by organisations are also taken into account. This will provide the basis and perspectives for research on discrimination that is informed by the sociology of social problems. Wir glauben, dass ein besseres theoretisches Verständnis der sozialen Spannungen zu erwarten wäre, wenn Sozialwissenschaftler und Philosophen bereit wären, für eine Zeitlang ihre wohlgemeinte Vorstellung aufzugeben, dass Diskriminierung und andere soziale Übel ausschließlich in Vorurteilen gründen, die wie von Zauberhand verschwänden, sobald wir die Übeltäter davon in Kenntnis setzen, dass sie Vorurteile pflegen. (Schütz 2011 [1957], S. 215)
1 Einleitung Sozialwissenschaftliche Diskriminierungsforschung setzt gewöhnlich voraus, dass es sich bei den unterschiedlichen Formen
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