Hans Asperger und der Nationalsozialismus: Konturen einer Kontroverse

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Kinderheilkunde Hans Asperger und die Heilpädagogik Monatsschr Kinderheilkd https://doi.org/10.1007/s00112-020-00947-3 © Der/die Autor(en) 2020

H. Czech OE Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin (Josephinum), Medizinische Universität Wien, Wien, Österreich

Hans Asperger und der Nationalsozialismus: Konturen einer Kontroverse Hans Asperger (1906–1980), die zentrale Figur der österreichischen Heilpädagogik, erlangte ab den 1980er-Jahren zunehmend internationale Bekanntheit als Pionier der Autismusforschung; das nach ihm benannte Syndrom ging als Eponym in vielen Sprachen in den Alltagsgebrauch ein. Aspergers Verhältnis zum Nationalsozialismus (NS) wurde zwar gelegentlich thematisiert, es dominierte aber ein apologetisches Narrativ, und manche AutorInnen gingen so weit, Asperger eine aktiv widerständige Rolle gegen das NS-Regime zuzuschreiben. Eine evidenzbasierte historische Neubewertung ist vor diesem Hintergrund überfällig.

Hintergrund Trotz der seit den 1980er-Jahren stetig zunehmenden internationalen Bekanntheit Hans Aspergers und des nach ihm benannten Syndroms liegt bis heute keine ausführliche Biografie vor. Die wenigen bis 2018 erschienenen Publikationen beruhten auf einer eingeschränkten Quellenbasis, verließen sich auf die Aussagen von Asperger oder ihm nahestehender Personen und vermittelten insgesamt ein unkritisches und bisweilen apologetisches Bild, was Aspergers Rolle während des NS betrifft. Bemerkenswerte Ausnahmen sind ein Buchkapitel von Aspergers Tochter, Maria Asperger Felder, sowie die Arbeiten von Ina Friedmann ([3, 31, 32], zur Literatur: [23, S. 2–4]). Im englischsprachigen Raum etablierte sich durch Feinstein und später Silberman ein he-

roisierendes Narrativ von Asperger als entschlossenem Gegner der Nationalsozialisten, der unter großem persönlichen Risiko die ihm anvertrauten Kinder vor dem Zugriff des Regimes geschützt habe [29, 30, 57].

Einige bis 2018 publizierte »Arbeiten vermittelten ein apologetisches Bild von Aspergers Rolle im NS Die Beschäftigung des Autors des vorliegenden Beitrags mit Hans Asperger wurde 2008 durch eine Anfrage der Wiener Universitätskinderklinik angestoßen; diese mündete in eine Einladung durch deren damaligen Leiter Arnold Pollak, im Mai 2010 im Rahmen eines Symposiums zum 30. Todestag Aspergers über dessen Biografie im NS zu sprechen. Damals wurde schnell klar, dass die Erzählung von Aspergers angeblichem Widerstand gegen das NS-Regime angesichts der überlieferten Quellen nicht zu halten war. Im Jahr 2016 griffen Donvan und Zucker die in deutscher Sprache publizierten vorläufigen Ergebnisse des Autors [18–20] in einem Buch über die Geschichte des Autismus auf [26]; dennoch blieb das apologetische Narrativ zunächst dominant. Dies änderte sich mit dem Erscheinen des umfassenden Beitrags des Autors in der Zeitschrift Molecular Autism im April 2018 [23]. Ein Editorial, in dem die beiden Herausgeber (Cohen und Buxbaum) sowie zwei der Gutachter (Klin und Silberman) sich öffentlich hinter die

Ergebnisse stellten, und eine von Springer Nature verbreitete Press