Hundert Jahre Berlin

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REPORT


re Berlin 1920: Berlin wird Großstadt

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ach meinem Studium bin ich von Zehlendorf im Süden Berlins nach Reinickendorf im Norden gezogen, weil ich dem Märkischen Viertel nahe sein wollte, in dem ich damals arbeitete. Dabei sind mir die Verwaltungsabläufe und ihre Unterschiedlichkeiten zwischen den beiden Bezirken aufgefallen. Bis dahin hatte ich gedacht, in einer Stadt mit einer einheitlichen Verwaltung zu wohnen. Heute weiß ich, dass diese Annahme ein Irrtum war. Aber die acht Städte, die 1920 zu einer ‚neuen Stadtgemeinde‘ zusammengeschlossen und damit zur Großstadt wurden, hatten ihre unterschiedlichen Verwaltungsstrukturen beibehalten. Die jeweiligen Bezirksstadträte konnten ihre Geschäftsbereiche in eigener Verantwortung benennen und führen, ihre Bezirksbürgermeister hatten kein Eingriffs- und Durchgriffsrecht. Das Land Berlin, der Senat und die einzelnen Bezirke werden auch heute noch von je unterschiedlichen Parteien verwaltet und regiert: der Südwesten ist eher christdemokratisch und liberal, die Mitte ist grün, der Norden und Nordosten ist eher sozialdemokratisch und der Osten ist links (geblieben). Das Land Berlin wird von einer SPD-/Grüne‑/Linke-Koalition regiert. Das alles trägt dazu bei, dass Berlin als ein Gemeinwesen gilt, das schwer zu behandeln ist. Aber ohne diese Vielfalt wäre die Großstadt Berlin mit ihren inzwischen vier Millionen Einwohnern nie zustande gekommen.

Eine verschlungene Geschichte Heute weiß ich, dass alles mit der verschlungenen Geschichte der ‚Stadtwerdung Berlins‘ zusammenhängt. Die hatte um 1900 begonnen. Damals hatte Werner von Siemens mit der Erfindung des dynamoelektrischen Prinzips die ersten Elektro-Lokomotiven, Straßenbahnen und Personenaufzüge gebaut. August Borsig wurCarl Wolfgang Müller Berlin, Deutschland *1928, Dr., Dr. h.c.; war Professor für Sozialpädagogik an der TU Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Geschichte und Methoden Sozialer Arbeit. [email protected]

de der größte europäische Lokomotiven-Lieferant. Berlin wurde dadurch eine bedeutende Industriestadt und zog Hunderttausende in die damalige Kernstadt mit den sechs Stadtteilen Altstadt, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg. Die meisten arbeiteten als Industriearbeiter in Fabriken, als Tagelöhner und Dienstboten. Mit ihren Familien wohnten sie in Mietskasernen, wo sie sich in einem Zimmer zu fünft behelfen mussten, mit einem zusätzlichen Schlafburschen, der nachts das Bett benutzte, das tagsüber ein Arbeiter mit Nachtschicht beanspruchte. Es gab Versuche, die sechs Teil-Städte zu einer Gesamtgemeinde zu vereinheitlichen. Anstöße gab es im Ersten Weltkrieg, als es in Schöneberg mehr Kartoffeln gab als in Neukölln. Die Fleischzuteilung war in Tegel besser als in Berlin. Deshalb wurde 1915 eine gemeinsame Brotkarte für ganz Berlin eingeführt und das war dann der Weg zu einer Vereinheitlichung der sechs Stadtteile und ihres Umlandes zu einem ‚Groß Berlin‘ durchgesetzt. Das ‚Groß‘ musste allerdings auf Einreden hin wieder gestrichen werden, weil einige „Bezir