Soziologie in Tschechien

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REPORT


Soziologie in Tschechien I. Srubar

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Skovajsa, Marek, und Jan Balon: Sociology in the Czech Republic. Between East and West. Cham: Palgrave Macmillan 2017. 150 Seiten. ISBN: 978-1-137-45026-5. Preis C 53,49.

Wenn sich die Soziologie selbst betrachtet, kann sie nicht umhin, sich als einen Bestandteil ihres Gegenstandes wahrzunehmen. Dementsprechend rahmen Skovajsa und Balon ihre Darstellung der Geschichte der tschechischen Soziologie in den Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung des tschechischen Teils der Tschechoslowakei nach 1918 ein. Sie zeigen die Verflechtung der Disziplin mit den vielfältigen Wandlungen, durch die die tschechische Gesellschaft im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart hindurchging. In kurzen Kapiteln skizzieren die Verfasser die Konstituierung des Faches in der Zwischenkriegszeit, seine Strangulation unter der deutschen Besatzung, die knappe Erholung nach dem Zweiten Weltkrieg, sein wechselhaftes Schicksal unter der kommunistischen Herrschaft bis zu seiner Renaissance nach 1989. Obwohl die Autoren bezüglich der spezifischen Leistungen der Disziplin recht skeptisch sind, wird im Hintergrund ihrer Darstellung die gesellschaftliche Wirkung des soziologischen Blicks oder seiner Unterdrückung deutlich – ein Umstand, der neben der sachlichen Information einen besonderen soziologischen Ertrag des Buchs bildet. Um dies sichtbar zu machen, sei hier die dargebotene Darstellung kurz skizziert. Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert galt die Soziologie auch in Tschechien (Böhmen und Mähren) als eine Disziplin, die der Modernisierung und demokratischer Reform traditionell verkrusteter Gesellschaften eine OrientieI. Srubar () Institut für Soziologie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Kochstraße 4, 91054 Erlangen, Deutschland E-Mail: [email protected]

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I. Srubar

rung bietet. So sah sie auch T. G. Masaryk, der als die Vaterfigur der tschechischen Soziologie gilt. Masaryk verstand Soziologie im weitesten Sinne als einen Ansatz der historisch fundierten Zeitdiagnose, aus der er das Bedürfnis nach einer demokratischen Transformation der Gesellschaft ableitete. In der von ihm gegründeten Tschechoslowakei erfuhr daher die Soziologie zwischen den beiden Weltkriegen, ähnlich wie in der Weimarer Republik, eine entsprechende Unterstützung. Sie wurde ein akademisches Fach, es entstanden zwei soziologische Gesellschaften in Prag und in Brünn, die ihre Zeitschriften herausgaben. Etabliert wurde die empirische Sozialforschung mit internationalem Anschluss. Die Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland machte allerdings diese Entwicklung zunichte. Aufgrund der Schließung von Hochschulen wurde die akademische Ausbildung unmöglich. Die beiden soziologischen Gesellschaften durften zwar formal weiter bestehen, stellten allerdings das Erscheinen ihrer Organe ein. Die Erneuerung des soziologischen Betriebs nach 1945 wurde durch die kommunistische Ma