Unruhe stiften: Coaching als Medium und Form
Aus den Kinderschuhen eines Instruments der Karriereplanung für Führungskräfte in Industrie, Politik, Sport und Kirche ist das Coaching herausgewachsen. Seine Aufgabe besteht nicht mehr nur darin, ein offenes Wort dort zu fördern, wo es andernfalls kaum n
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Die individualisierte Gesellschaft
Aus den Kinderschuhen eines Instruments der Karriereplanung für Führungskräfte in Industrie, Politik, Sport und Kirche ist das Coaching herausgewachsen. Seine Aufgabe besteht nicht mehr nur darin, ein offenes Wort dort zu fördern, wo es andernfalls kaum noch vorkommt. Seine Funktion reicht über die Beobachtung und Begleitung strategischer Optionen der Entkopplung von Individuum und Organisation hinaus, so wichtig diese Entkopplung bleibt, und betrifft eine weit über die Organisation hinaus individualisierte Gesellschaft. Coaching bringt eine individualisierte Gesellschaft in der Organisation zur Geltung und trägt die Erfahrung, die dabei gesammelt wird, wieder hinaus in die Gesellschaft. Wie rechnet man mit Individualität, fragt Maren Lehmann (2011)? Das Coaching stellt und beantwortet diese Frage. Es stellt sie im Medium der Unruhe, die
Prof. Dr. Dirk Baecker ( ) Universität Witten/Herdecke, Fakultät für KulturreÁexion – Studium fundamentale, Witten, Deutschland E-Mail: [email protected] 9 R. Wegener et al. (Hrsg.), Coaching und Gesellschaft, DOI 10.1007/978-3-658-09636-6_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
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Dirk Baecker
es stiftet. Die Unruhe ist beides, Frage und Antwort. Sie betrifft den Coachee, den Coach und die sich gleichsam selber coachende Gesellschaft.1 Coaching hat die gesellschaftliche Funktion, die Unruhe des Individuums zu ermutigen, aufzufangen und auf der Ebene der Anerkennung dieser Unruhe dynamisch zu stabilisieren.
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Wie konnte das passieren?
Aus der Soziologie ist bekannt, dass sich die Struktur der modernen Gesellschaft nicht mehr primär in sozialen Schichten und Klassen abbilden lässt – so sehr es diese statistischen Einheiten noch gibt, und nicht nur statistisch als ein wie immer informatives oder irreführendes Bild ihrer Vielfalt, sondern auch selektiv handlungsorientierend. Immerhin hilft die Statistik dabei, zu wissen, in welche Kategorien die eigenen Absichten und Handlungen passen und in welche nicht. In jeder einzelnen Situation jedoch und für jedes einzelne Individuum hilft die Statistik nicht weiter, und sei es nur, weil sie auf Einzelfälle nicht zutrifft, sondern nur artiÀziell abgegrenzte Mengen von Einzelfällen beschreiben kann. Zu wissen, dass man eine »höhere Angestellte« ist, hilft nicht bei Berufs-, Einkaufs- und Heiratsentscheidungen, so sehr man dann auch davon überrascht ist, dass man tut, was auch andere in vergleichbaren Fällen tun. Bewegt man sich deswegen in sozial determinierten Verhältnissen? Der eigene Eindruck stimmt damit zuweilen durchaus überein; und doch trifft man Entscheidungen, die sich eher aus der Situation als aus der Struktur ergeben. Zutreffender als die statistische Beschreibung der Gesellschaft ist daher ihre Beschreibung als prinzipiell »individualisierte« Gesellschaft. Die Individuen kann man zählen und so als untereinander identische »Einheiten« setzen. Zugleich jedoch bleiben sie Individuen, das heißt: im Prinzip autonom. Die moderne Gesellschaft ordnet sich daher nicht statistisch, sondern
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