Wohnungslosigkeit und seelische Erkrankungen

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REPORT


S. Schreiter1 · S. Gutwinski1,2 · W. Rössler1,3 1

Department of Psychiatry and Psychotherapy, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin, Humboldt-Universität zu Berlin, and Berlin Institute of Health, Berlin, Deutschland 2 Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig Krankenhaus, Berlin, Deutschland 3 Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik, Universität Zürich, Zürich, Schweiz

Wohnungslosigkeit und seelische Erkrankungen Hintergrund Marginalisierungsprozesse bis hin zur Wohnungslosigkeit sind Ausdruck sozialer Exklusions- und Abstiegsphänomene, die das Gesundheitssystem in Verbindung mit anderen Teilhabeleistungen und Institutionen des Hilfs- und Versorgungssystems vor besondere Herausforderungen stellen. Verschiedene politische Entwicklungen der letzten Jahre, welche mit der zunehmenden Wohnungslosigkeit verbunden sind, wie beispielsweise Urbanisierung, Gentrifizierung und internationale Fluchtbewegungen, stellen damit Bestrebungen nach „Inklusion“ und „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ auf den Prüfstand. Die aktuelle COVID-19-Pandemie könnte bereits bestehende Momente der Benachteiligung verschärfen. Umfrageergebnisse der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe unter Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe während der COVID-19-Pandemie weisen auf erhebliche Schwierigkeiten in der Steuerung bzw. der Aufrechterhaltung von Hilfsmaßnahmen für wohnungslose Menschen hin [7]. In der Vergangenheit waren Menschen in Wohnungslosigkeit wiederholt politischer Verfolgung ausgesetzt, was leider auch durch die Beschäftigung mit dem Phänomen Wohnungslosigkeit im psychiatrischen Kontext gefördert wurde [25, 49, 60]. Der Psychiater Kurt Schneider beschrieb beispielsweise 1934, dass Die Autoren S. Schreiter und S. Gutwinski teilen sich die Erstautorenschaft.

wohnungslose Menschen durch eine innere Unruhe sowie „eine triebhafte Sucht nach Veränderung und etwas Neuem“ gekennzeichnet seien und bezeichnete sie als „unstete Psychopathen“ [25, 49]. Solche als wissenschaftlich deklarierten Betrachtungen und deren Verbreitung im Gesamtkontext der historischen Entwicklung ebneten den Weg zur nationalsozialistischen Verfolgung von als „asozial“ bezeichneten Menschen, die in den 1930er- und 1940er-Jahren auf der Straße lebten [23, 25]. Doch auch in der Wohnungslosenforschung der Nachkriegszeit findet sich weiterhin die Sichtweise von Obdachlosigkeit als Charakterstörung.

Nur wenigen Personen »gelingt es, die soziale Notlage zu beenden Durch eine steigende Arbeitslosigkeit sowie einer Zunahme der Mietpreise in den 1970er-Jahren und schließlich auch infolge der Wiedervereinigung stiegen die Zahlen wohnungsloser Menschen in Deutschland an. Wohnungslosigkeit wurde dabei zunehmend als eine Form neuer Armut, als ein Problem sozialer Ausgrenzungsprozesse verstanden. Durch einen in den vergangenen Jahrzehnten erneuten Anstieg der Wohnungslosenzahlen sowie eine zunehmende Verschiebung von Personen mit schweren psychischen Erkrankungen in den Versorgungsberei