Ethnographie und Bildhermeneutik

Visuelle Daten stellen bedeutende und eigenständige Quellen sozialwissenschaftlicher Erkenntnis dar. Daher lohnt es, sich auch in lebensweltanalytischen Forschungskontexten mit den je spezifischen Erzeugungs-, Betrachtungs- und Interpretationspraktiken im

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REPORT


Einleitung Visuelle Daten stellen bedeutende und eigenständige Quellen sozialwissenschaft licher Erkenntnis dar. Daher lohnt es, sich auch in lebensweltanalytischen Forschungskontexten mit den je spezifischen Erzeugungs-, Betrachtungs- und Interpretationspraktiken im Umgang mit visuellen Daten auseinander zu setzen. Aufbauend auf insbesondere seit der letzten Jahrtausendwende zahlreichen beschriebenen und begründeten Verfahren und Herangehensweisen der Bildinterpretation plädieren wir für einen methodischen Dreischritt aus (1) der aus dem Bild heraus begründeten Segmentierung des Materials, (2) der sequenziell vorgehenden hermeneutischen Rekonstruktion des Bildes und (3) der Interpretation des Entstehungs- und Verwendungskontextes im Feld. Wir verfolgen dabei den Anspruch, die diversen bereits erprobten und zum Teil nebeneinander stehenden Methoden der Bildinterpretation systematisch und integrierend in die wissenssoziologisch orientierte ethnographische Forschung einzubeziehen.

Zur Relevanz von Bilddokumenten im Rahmen ethnographischer Forschung Bereits 1995 hebt Stefan Müller-Dohm die bedeutende Aufgabe hervor, die im Rahmen der hermeneutischen Auswertung von Bilddaten bewältigt werden solle: 1

Da der vorliegende Text ‚eingelebten‘ Lesegewohnheiten nicht zuwider laufen soll, haben wir uns für die maskuline Schreibweise sämtlicher im Text genannter Individuen entschieden.

R. Hitzler, M. Gothe (Hrsg.), Ethnographische Erkundungen, Erlebniswelten, DOI 10.1007/978-3-658-07257-5_12, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

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Babette Kirchner und Gregor Betz

Die Rekonstruktion manifester und latenter Deutungs- und Orientierungsmuster visueller Präsentationen. Bilddaten – im vorliegenden Beitrag verstanden als von Akteuren im Feld produzierte und verwendete visuelle Dokumente im weitesten Sinne – jedoch lediglich darauf zu beschränken, dass Individuen im Feld diese nutzen, um sich im Sinne von sozialen Regeln an ihnen zu orientieren (so z. B. Bohnsack 2003; Pilarczyk und Mietzner 2005), erachten wir in der Tradition des Sozialkonstruktivismus (vgl. Berger und Luckmann 1966) als verkürzt. Denn Menschen sind auch an der Konstruktion von Regeln und gemeinsamen Vorstellungen (z. B. zu Ästhetik, Inszenierung und Symbolik) beteiligt. Das heißt, zum einen werden visuelle Produkte zur Orientierung für eigene Handlungen (auch Bilderzeugungen) genutzt (Internalisierung). Zum anderen stellen visuelle Daten Objektivationen der sozialen Wirklichkeit des Feldes dar (Objektivierung). Und des Weiteren verwenden Menschen Bildprodukte als Interaktionsartefakte im Feld und schreiben ihnen damit Sinn zu (Externalisierung) (vgl. Raab 2008b, 2008c; Kurt 2008). Welchen je feldspezifischen Sinn Menschen visuellen Daten in der (Wieder)Verwendung zuschreiben, kann hinlänglich nur durch eine Einbettung der hermeneutischen Analyse von Bilddaten im Rahmen ethnographischer Forschung rekonstruiert werden. Den vorliegenden Beitrag verstehen wir deswegen als ein zweifaches Plädoyer: Für die Kombination von Bildhermeneutik und lebensweltanalytische