Grenzen des Vorsorgestaats in einer alternden Gesellschaft
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Grenzen des Vorsorgestaats in einer alternden Gesellschaft Jochen Pimpertz
Online publiziert: 24. November 2020 © Der/die Autor(en) 2020
1 Die ökonomische Perspektive Der Begriff Vorsorgestaat setzt Risikovorsorge und staatliches Handeln in einen unmittelbaren Zusammenhang. Dies mag beobachtbaren Praktiken der Verantwortung entsprechen (Ewald 1993), gleichwohl ist dieser Terminus der Ökonomie fremd. Denn mehr noch als die Beobachtung eines zunehmenden staatlichen Gestaltungsanspruchs sind die Fragen, für welche Risiken Vorsorge zu treffen ist, ob und unter welchen Zielsetzungen dies vorteilhaft in individueller oder kollektiver Verantwortlichkeit geschieht und welche Rolle dabei dem Staat zukommt, Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher Forschung. Dabei geht es um das Abwägen der wirtschaftlichen Folgen, die einerseits bei einer marktnahen, eigenverantwortlichen Lösung unter Wahrung individueller Handlungsfreiheiten zu erwarten sind, andererseits bei einer marktferneren Lösung unter staatlicher Einschränkung ebendieser Freiheiten (Watrin 1984). Da diese Abwägung auf einem der Disziplin eigenen liberalen Werturteil basiert (zum methodologischen Individualismus Roth 2014, S. 1 ff.), stehen ökonomische Argumente regelmäßig im Konflikt mit außer-ökonomisch begründeten Normen, die zur Rechtfertigung des staatlichen Gestaltungsanspruchs angeführt werden. In einem interdisziplinären Forum sind deshalb ordnungsökonomische Beiträge als normativ zu kennzeichnen. Die Rolle des Vorsorgestaats kann aber auch mit Blick auf die Anreize, Handlungsmöglichkeiten und Restriktionen politischer Akteure diskutiert werden (Roth 2014, S. 217 ff.). Im Folgenden wird dazu argumentiert, dass sich mit dem demografischen Wandel intergenerative Verteilungskonflikte verschärfen. Dabei steht die These im Raum, dass sich demokratisch legitimierte Agenten angesichts eiDr. rer. pol. J. Pimpertz () Öffentliche Finanzen, Soziale Sicherung, Verteilung, Institut der deutschen Wirtschaft, 101942, 50459 Köln, Deutschland E-Mail: [email protected]
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nes steigenden Alters des Medianwählers eher an den Versorgungsinteressen älterer Wählergruppen orientieren werden – dies ließe eine Ausweitung des staatlichen Gestaltungsanspruchs erwarten. Andererseits werden aber die Opportunitätskosten großzügiger Leistungsversprechen deutlicher spürbar als bislang. Beschreibt der Begriff Vorsorgestaat also eine zunehmende Politisierung der Begriffe Risiko und Vorsorge, dann wird hier die Gegenthese begründet, dass der damit einhergehende Gestaltungsanspruch für demokratisch legitimierte Akteure selbst zu einem politischen Risiko wird.
2 Sozialversicherungen vor demografischen Herausforderungen Im Folgenden werden dazu die Systeme der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung in den Blick genommen. Über sie werden weite Teile der Bevölkerung verpflichtet, Vorsorge im Sinne einer Absicherung gegen zentrale Lebensrisiken zu betreiben. Systemprägend ist deren Finanzierung im Umlageverfahren, wonach die jährlich auftretenden Ausgaben aus de
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