Kommunikation / Kontamination

Die ›Berliner Abendblätter‹ vom 3. Dezember 1810 berichten das erste Mal von der Verbreitung einer pestartigen Krankheit in Spanien und Italien und spekulieren, dass es sich um das gefürchtete Gelbfieber handeln müsse. In weiteren Meldungen werden die Kra

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Kommunikation / Kontamination Gerücht und Ansteckung bei Heinrich von Kleist

I.  Die ›Berliner Abendblätter‹ vom 3. Dezember 1810 berichten das erste Mal von der Verbreitung einer pestartigen Krankheit in Spanien und Italien und spekulieren, dass es sich um das gefürchtete Gelbfieber handeln müsse. In weiteren Meldungen werden die Krankheitssymptome beschrieben, aber keine Schutzmaßnahmen oder Heilungsaussichten perspektiviert; Korrespondentenberichte vermuten die Einschleppung der Krankheit durch ausländische Schiffe, beschreiben Quarantäneanordnungen und suggerieren somit militärpolitische Implikationen der Seuche. Indem die ­›Abendblätter‹ die Ausbreitung der Krankheit auf die Ausweitung der Kriegshandlungen zurückführen, äußert Kleist eine ziemlich offensichtliche Kritik an den franzö­sischen Expansionsplänen.1 Die Politisierung der Ansteckungsfurcht erscheint als Teil einer Strategie, trotz Zensurandrohungen aus den von Napoleon besetzten Gebieten Europas berichten zu können. Dabei stützen sich die Meldungen zum Großteil auf ungesicherte Quellen, zehren vornehmlich von der Ansteckungsangst der Bevölkerung und bedienen eine Verdachtshaltung gegen jegliche Fremdeinflüsse. Dass sich in den Beiträgen der ›Berliner Abendblätter‹ Synergieeffekte zwischen Nachrichten und Gerüchten ergeben, ist in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus medientheoretischer Relektüren gerückt.2 Kleists Faszination an Gerüchten zeigt sich aber bereits in seinen politischen Dramen, woran sich die jüngere KleistForschung ebenfalls abgearbeitet hat: So liefere Kleists ›Herrmannsschlacht‹ (1808) auf der Grundlage des Arminius-Mythos das Modell eines deutschen Volkskriegs gegen die militärisch überlegene französische Armee,3 indem das Drama Strate1 Vgl. Helmut Sembdner, Die Berliner Abendblätter Heinrich von Kleists, ihre Quellen und ihre Redaktion, Berlin 1939, S. 311–315. 2 Vgl. Michael Niehaus, Zeitungsmeldung, Anekdote. Gattungstheoretische Überlegungen zu einem Textfeld bei Heinrich von Kleist. In: KJb 2019, 295–308; Johannes F. Lehmann, Faktum, Anekdote, Gerücht. Begriffsgeschichte der »Thatsache« und Kleists ›Berliner Abendblätter‹. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 89 (2015), S. 307–322; Elke Dubbels, Zur Dynamik von Gerüchten bei Heinrich von Kleist. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 131 (2012), S. 191–210; Sibylle Peters, Von der Klugheitslehre des Medialen. (Eine Paradoxe.) Ein Vorschlag zum Gebrauch der ›Berliner Abendblätter‹. In: KJb 2000, 136–160. 3 Vgl. Roger Fornoff, Nation und Psychose. Exzesse des männlichen Genießens in ­Heinrich von Kleists ›Hermannsschlacht‹. In: Branka Schaller-Fornoff und ders. (Hg.), Kleist. Relektüren, Dresden 2011, S. 137–170.

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Lea Liese

gien von Massenmobilisierung und Desinformation als legitime Mittel gegen den politischen Feind zur Schau stelle.4 Und in ›Die Familie Schroffenstein‹ (1803) regiert die ungenaue Rede der Protagonisten, die sich damit nicht nur strategisch, sondern unwissentlich zum Übertragungsmedium ungeklärter Halbwah