Migration und Gesundheit
Die Bevölkerungsentwicklung der (alten) Bundesrepublik wurde in den vergangenen Jahrzehnten stark durch Außenzuwanderung geprägt. Mit dem Einsetzen des „Wirtschaftswunders“ in den 1950er Jahren und dem einhergehenden Arbeitskräftemangel begann die westdeu
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Einleitung
Die Bevölkerungsentwicklung der (alten) Bundesrepublik wurde in den vergangenen Jahrzehnten stark durch Außenzuwanderung geprägt. Mit dem Einsetzen des „Wirtschaftswunders“ in den 1950er Jahren und dem einhergehenden Arbeitskräftemangel begann die westdeutsche Wirtschaft in Südeuropa Gastarbeiter zu rekrutieren und die Bundesregierung mit Staaten wie Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei bis in die 1960er hinein zwischenstaatliche Abkommen abzuschließen (Münz und Ulrich 2000). Seit dem Anwerbestopp im Jahr 1974 stieg die Zahl der ausländischen Bevölkerung als Folge der Familienzusammenführung und der Zuwanderung von Asylsuchenden und (Spät-)Aussiedlern weiter, so dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung von 1,2 % im Jahr 1961 auf 9 % im Jahr 1995 stieg und sich seit dem bei etwa 8 % bewegt (Statistisches Bundesamt, GESIS-ZUMA und WZB 2008; Statistisches Bundesamt 2010; Bundesministerium des Innern und Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2011). Obwohl in der BRD circa 15 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben, d. h. fast ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland ist entweder selbst zugewandert oder Kinder oder Enkel von Zuwanderern, erschien erst im Jahr 2008 ein erster Schwerpunktbericht der Gesundheitsberichterstattung des Bundes zum Thema „Migration und Gesundheit“ (Razum, Zeeb, Meesmann et al. 2008). Dieser Bericht versucht, zentrale Fragen zur Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund zu beantworten. So geht der Bericht z. B. der Frage nach, ob Migranten durch ihre sozioökonomische Lage höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung, ob sie an anderen Krankheiten leiden und ob es Unterschiede in der Gesundheitsversorgung gibt. Ein Fazit dieses Schwerpunktberichts ist jedoch, dass in Deutschland Defizite im Bereich der gesundheitswissenschaft lichen und epidemiologischen Forschung zur gesundheitlichen Lage von Menschen mit J. Stauder et al. (Hrsg.), Soziale Bedingungen privater Lebensführung, DOI 10.1007/978-3-658-10986-8_12, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
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Monique Stenzel
Migrationshintergrund bestehen und somit die genannten Fragen nicht befriedigend beantwortet werden können, da relevante Faktoren wie z. B. Herkunftsland, Aufenthaltsdauer oder sozioökonomischen Status keine Berücksichtigung finden bzw. nicht berücksichtigt werden können. Dass der Migrationshintergrund gesundheitliche Auswirkungen haben kann, die sich in Unterschieden im subjektiven Gesundheitszustand, in den Inzidenzen von Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und von psychischen Krankheiten widerspiegeln kann, ist mittlerweile unbestritten (Razum, Zeeb, Akgün et al. 1998; Bunge, Meyer-Nürnberger und Kilian 2006; Kircaldy, Wittig, Furnham et al. 2006; Razum, Zeeb und Schenk 2008; Perreira und Ornelas 2011; Wengler 2011, vgl. Kap. 3). Einerseits können als Effekte der Migration selbst erhöhte gesundheitliche Risiken aus den erforderlichen Anpassungsleistungen an die fremde Kultur, Familientrennungen und möglichen Stigmatisierungserfahrunge
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