Naher und Mittlerer Osten
Im vorausgehenden Kapitel wurden die gewaltsamen Ursprünge des zunächst europäischen Staatensystems angesprochen. Der von der historischen Soziologie herausgearbeitete Zusammenhang zwischen Staatsentwicklung und zwischenstaatlichem Krieg wurde angeführt u
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Im vorausgehenden Kapitel wurden die gewaltsamen Ursprünge des zunächst europäischen Staatensystems angesprochen. Der von der historischen Soziologie herausgearbeitete Zusammenhang zwischen Staatsentwicklung und zwischenstaatlichem Krieg wurde angeführt und die Formulierung des Soziologen Norbert Elias von den frühneuzeitlichen europäischen „Ausscheidungswettkämpfen“ zitiert. Aus dieser gewaltsamen Herausbildung des europäischen Staatensystems wurden zwei gedankliche Entwicklungen hergeleitet: die Dominanz realistischen Denkens, das das internationale Verhältnis im Sinne von Thomas Hobbes als permanenten Kriegs- und Bedrohungszustand interpretiert, im Fachjargon: als anarchisches Staatensystem; und die Herausbildung und schließlich, nach zwei Weltkriegen, auch Durchsetzung eines diesen Zustand überwindenden Denkens und dann auch diesem entsprechender Institutionen zwischenstaatlicher Kooperation und, in Gestalt der heutigen EU, auch Integration. Beginnen wir in diesem Kapitel mit der neuerdings MENA (Middle EastNorth Africa) abgekürzten Weltregion, die sich aus, wie es eigentlich heißen müsste, Westasien, besser jedoch bekannt als Naher und Mittlerer Osten, und Nordafrika (Afrika nördlich der Sahara, m. a. W.: den südlichen Mittelmeeranrainern) zusammensetzt.1 Wie sich zeigen wird, haben die inzwischen auch dort in Gestalt moderner Staaten ‚formatierten‘ politischen Herrschaftsverbände eine doch merklich andere Entwicklung hinter sich, mit Auswirkungen sowohl auf ihre internen Herrschaftsverhältnisse und damit Elitenzusam1
Zu den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen in der Region vgl. Angrist 2013, Kadhim 2013, Durac/Cavatorta 2015, zur internationalen Politik der Region allgemein Fawcett 2013 und Hinnebusch 2015, zur Außenpolitik der Einzelstaaten Hinnebusch/Ehteshami 2014.
M. List, Weltregionen im globalen Zeitalter, Grundwissen Politik, DOI 10.1007/978-3-658-11767-2_3, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016
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neuzeitliches Europa …
und internationale Politik in der außereuropäischen Welt: beginnend mit Westasien und Nordafrika
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Kolonialismus: prägende Erfahrung und bleibende Auswirkungen
europäische technisch-ökonomische Moderne: Leitbild oft autoritärer Selbstmodernisierung wie nachholender Entwicklungspolitik
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mensetzung, aber damit zusammenhängend auch auf ihre internationalen Beziehungen untereinander. Prägend für weite Teile dieser außereuropäischen Entwicklung war dabei die historische Erfahrung kolonialer Unterwerfung. Sie hatte mehrere Konsequenzen, die bis heute auch die internationalen Beziehungen dieser Weltregionen prägen. Am augenfälligsten ist die oft ‚am grünen Tisch‘ vorgenommene Ziehung der Staatsgrenzen durch die ehemaligen Kolonialherren, kenntlich an deren schnurgeradem Verlauf. ‚Am Boden‘ bedeutete dies oft, dass willkürlich bisher miteinander verbundene vormoderne politische Einheiten und Ethnien getrennt, in ihrem bisherigen Verkehr miteinander eingeschränkt wurden. Aber auch nach der Dekolonialisation (guter Überblick: Jansen/Osterhammel 2013) bli
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