Hirntodkriterium und Organspende: aktuelle neurowissenschaftliche Perspektive

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REPORT


Einleitung Die Auffassung vom Tod des Menschen als anthropologisch-kulturelles Phänomen kann je nach sozialer, religiöser, philosophischer oder bioethischer Prägung individuell und gesellschaftlich sehr verschieden sein. Dessen ungeachtet ist eine allgemeingültige Definition von Kriterien des (eingetretenen) Todes des Menschen als biologisches Wesen auf einer naturwissenschaftlich-medizinischen Basis möglich und aus verschiedenen Gründen (juristische, medizinische, alltagspraktische) notwendig. Neben den klassischen Kriterien des Todes (unaufhebbarer Herz-KreislaufStillstand („Herztodkriterium“), äußere Todeszeichen (Totenflecke, Totenstarre, Verwesung etc.)) ist seit mehreren Jahrzehnten international das Kriterium des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls („Hirntodkriterium“) anerkannt. Zum Hirntod kommt es auf der Intensivstation, wenn infolge einer schweren Hirnschädigung ein vollständiger, unumkehrbarer Hirnfunktionsausfall eintritt, das Herz-Kreislauf-System aber durch die maschinelle Beatmung für einen gewissen Zeitraum weiter funktioniert. Der Hirntod führt unausweichlich zum Herzstillstand, ohne Beatmung innerhalb von Minuten, unter Beatmung/ Intensivtherapie i. d. R. innerhalb von Tagen. Das ärztlich-diagnostische Vorgehen zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (Hirntoddiagnostik) ist in der seit 1982 regelmäßig aktualisier-

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Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Deutschland Centre for Transdisciplinary Neurosciences Rostock (CTNR), Universität Rostock, Rostock, Deutschland

Hirntodkriterium und Organspende: aktuelle neurowissenschaftliche Perspektive ten Richtlinie der Bundesärztekammer detailliert vorgeschrieben [1]. Die Hirntodfeststellung ist in Deutschland gemäß Transplantationsgesetz (TPG) zwingende Voraussetzung für die postmortale Organspende. Daneben wird sie auf der Intensivstation auch zur Prognosebeurteilung bei akuter schwerster Hirnschädigung mit anhaltendem Koma durchgeführt. Gegenwärtig erfolgt die Hirntoddiagnostik jährlich bei ca. 2000–3000 Patienten in Deutschland, also vergleichsweise selten gemessen an der jährlichen Sterbezahl von über 900.000 in Deutschland. Bei der Hirntoddiagnostik handelt es sich heute um die am besten dokumentierte ärztliche Todesdiagnostik, die bei richtliniengemäßer Ausführung bislang nicht zu bestätigten Fehldiagnosen geführt hat [2, 3]. Hingegen kommt es in Deutschland jährlich zu 3–10 fehlerhaften ärztlichen Todesfeststellungen anhand der klassischen Todeszeichen [4]; der Scheintod fällt dann spätestens bei der Aufbahrung oder der regulären 2. Leichenschau vor Feuerbestattung auf. Dennoch gibt es eine anhaltende Kontroverse nicht in Bezug auf die klassischen Todeskriterien, sondern nur in Bezug auf das Hirntodkriterium. Diese Kontroverse nährt sich aus verschiedenen Quellen. Zum einen gibt es teilweise Sorgen über die Zuverlässigkeit der ärztlichen Diagnostik, die durch unzutreffende, skandalisierende Medienberichte bei Einzelfällen mit bekannt gewordenen Protokollfehlern geschürt wurden (z