Soziologie in Russland

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Soziologie in Russland A. Libman

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Titarenko, Larissa, und Elena Zdravomyslova: Sociology in Russia. A Brief History. Cham: Palgrave Macmillan 2017. 158 Seiten. ISBN: 978-3-319-58084-5. Preis: C 57,19.

Die internationale soziologische Forschungsgemeinschaft ist, abgesehen von einer sehr kleinen Gruppe der Osteuropaforschung, mit der Entwicklung und dem Zustand der soziologischen Disziplin in Russland kaum vertraut. Das Buch von Larissa Titarenko und Elena Zravosmyslova kann deswegen als ein einzigartiger Versuch gesehen werden, die Geschichte der russischen Soziologie der internationalen Leserschaft vorzustellen. Die ersten vier Kapitel des Buches sind chronologisch organisiert und beschreiben die drei wichtigsten Epochen in der Entwicklung der russischen Soziologie: soziologische Forschung im Zarenreich (Kapitel 2), in der Sowjetunion (Kapitel 3 und 4) und im modernen Russland (Kapitel 5). Die Autorinnen präsentieren ein Bild einer Disziplin, die durch inhärente interne Widersprüche gekennzeichnet ist: den Gegensatz zwischen den Anhängern des russischen Alleingangs und den prowestlich orientierten Forschenden, die sich primär auf die Anpassung und Verbreitung der Konzepte der westlichen Wissenschaft fokussieren. Was konkret in diesem Fall als „Westen“ empfunden ist, hängt von der historischen Epoche ab: Die vorrevolutionären Forschenden haben aus dem „Westen“ unter anderem den Marxismus importiert – die sowjetischen Forschenden dagegen sahen in den Kontakten zum „Westen“ (insbesondere zu den USA und Polen) dagegen einen Weg, sich vom Marxismus zu emanzipieren und ließen sich eher vom Strukturfunktionalismus begeistern. In A. Libman () Osteuropa-Institut, Freie Universität Berlin Garystraße 55, 14195 Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected]

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A. Libman

einigen Fällen waren die Kontakte zum „Westen“ der zentrale Grund für die neuen Entwicklungen und die Institutionalisierung der soziologischen Forschung – so wurde die Soviet Sociological Association zu einem gewissen Maße dazu gegründet, der UdSSR die Vertretung in der International Sociological Association zu geben (S. 46). Außerdem wurde die Entwicklung der russischen Soziologie durch massive Diskontinuitäten gekennzeichnet. Nach der Blüte der Soziologie im Zarenreich und in der frühen UdSSR wurde die Disziplin fast vollständig ausgerottet und erst in den 1950er-Jahren neu gegründet. Die Gründerväter der sowjetischen Soziologie orientierten sich jedoch nicht an den vorrevolutionären Vorgängern, sondern primär an der kontemporären US-amerikanischen Forschung. Auch für viele russische Forschende der 1990er- und der 2000er-Jahre bildet der intellektuelle Import aus dem Westen (und nicht die sowjetische Soziologie, obwohl deren Vertretende in den 1990erJahren eine wichtige Rolle in der Disziplin spielten) den zentralen Ausgangspunkt. Kapitel 6, 7 und 8 widmen sich der Analyse des gegenwärtigen Zustandes der Soziologie in Russland. Kapitel 6 kann als eine faszinierende und det