Die Inflationsmessung erzeugt die Illusion der stabilen Kaufkraft
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DOI: 10.1007/s10273-020-2779-z
Ende des vorherigen Zeitgesprächsartikels
Gunther Schnabl
Die Inflationsmessung erzeugt die Illusion der stabilen Kaufkraft Während im Lockdown zu Beginn der Corona-Krise die Preise von Lebensmitteln stark anstiegen, fielen die Preise von Gütern, die deutlich weniger konsumiert wurden, beispielsweise von Benzin. Die statistischen Behörden im Euroraum errechneten daraus sinkende Inflationsraten, die als Begründung für äußerst umfangreiche Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) dienten. Der Name des 1.350 Mrd. Euro schweren „Pandemischen Notfallkaufprogramms“ der EZB signalisiert hingegen, dass die EZB auf die Rettung von klammen Staaten und Unternehmen und nicht auf die Preisstabilität zielte. Ein weiterer Widerspruch hinsichtlich der europäischen Geldpolitik spiegelt sich in den Umfragen der Europäischen Kommission zur „gefühlten Inflation“ wider. Diese liegt seit Beginn der Erhebung ungefähr fünf Prozentpunkte höher als die offiziell gemessene Inflation. In der Corona-Krise hat sich diese Diskrepanz nochmals ver© Der/die Autor(en) 2020. Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (https:// creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht. Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.
Prof. Dr. Gunther Schnabl ist Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Leipzig.
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stärkt. Während die gefühlte Inflation im Eurogebiet im 2. Quartal steil auf 6,9 % nach oben ging, meldete Eurostat einen deutlichen Rückgang der Inflation auf 0,2 %. Zuletzt lag die Veränderungsrate des Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) sogar bei -0,3 % (September 2020). Damit lebt eine Diskussion wieder auf, die bei der Euroeinführung mit dem sogenannten Teuro begonnen hat. Beruhen die hohen gefühlten Inflationsraten darauf, dass Menschen Preiserhöhungen subjektiv stärker wahrnehmen als Preissenkungen? Oder erfasst die offizielle Statistik den Kaufkraftverlust in der Europäischen Union nicht ausreichend? Ein Blick auf die Methodik der Inflationssteuerung und Inflationsmessung gibt wichtige Einblicke. Inflationssteuerung von der Obergrenze zum symmetrischen Punktziel Das primäre Ziel der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist nach § 127 AEUV die Preisstabilität. Die Inflationsmessung ist für dieses Ziel von besonderer Bedeutung, weil die EZB ihre geldpolitischen Entscheidungen auf die aus dem HVPI berechnete Inflationsrate ausrichtet. Diese lag seit 1999 im jährlichen Durchschnitt in Deutschland bei 1,5 %, seit 2012 sogar nur bei 1,2 %. Zur Einführung des Euro hatte sich die EZB eine Inflationsobergrenze von 2 %, kombiniert mit einem Referenzwert für das Geldmengenwachstum M3 (4,5 %), als geldpolitische Strategie (ZweiSäulen-Strategie) vorgegeben. Im Jahr 2003 hat die EZB das mittelfristige Ziel auf nahe, aber unter 2 % eingeengt. Der Referenzwert für das Geldmengenwachstum wurde
Wirtschaftsdienst 2020 | 11
Zeitgespräch
fallen gelassen. Daraus scheint sich ein Punktziel von 2 % entwi
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