Bergsteigen als Kunst des Scheiterns
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Bergsteigen als Kunst des Scheiterns Freie Assoziationen zur Frage, wer da ruft, wenn der Berg ruft Rolf-Peter Warsitz
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Dort in geflügelten Gedanken von Körperlichem auf Unkörperliches übergehend, sprach ich ... zu mir selber: Was Dir heute bei Besteigung dieses Berges so oftmals widerfahren, wisse, dass dies auch dir wie vielen andern auf dem Weg zum seligen Leben widerfährt, aber es wird darum von den Menschen nicht hoch angeschlagen, weil des Körpers Bewegungen einem jeden offenkundig sind, die der Seele aber unsichtbar und verborgen. Siehe nun, auch die Seligkeit steht auf erhabener Höhe; ein schmaler Pfad führt zu ihr hin, viele Hügel ragen dazwischen, und von Tugend zu Tugend muss mit fürsichtigen Schritten gewandelt werden. Auf dem Gipfel ist das Ende und Ziel unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet. Dorthin wollen wir gelangen, aber wie Ovid sagt: Velle, parum est, cupias, ut re potiaris. oportet1. (Petrarca 1986 [1336], S. 37, 38) Hansjörg (scil. Auer, RPW) ist am 16. April 2019 zusammen mit Jess Roskelly und Davis Lama in den Bergen Albertas in Kanada von einer Lawine getötet worden. Der Alpinismus hat damit – wieder einmal! – drei seiner stärksten Vertreter verloren, und die Statistik bestätigt, dass von den absoluten Spitzen-
1 Das Zitat lautet übersetzt in etwa so: Es ist nötig, dass man begehrt, Wollen ist nicht genug, man soll begehren (Ovid, ex ponto, LCL 151, S. 374, Z 35).
Dieter Ohlmeier zu Ehren. Eine frühere Form dieser Arbeit wurde zum 80. Geburtstag von Dieter Ohlmeier am 21.05.2016 im Alexander-Mitscherlich-Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie in Kassel vorgetragen. Fünfzehn Jahre zuvor führten die Mitglieder des Alexander-Mitscherlich-Instituts für Psychoanalyse und Psychotherapie in Kassel anlässlich der Emeritierung Ohlmeiers die Rockoper Der Watzmann ruft als spontane Leseaufführung auf (Ambros et al. 1991). Prof. Dr. med. Dr. phil. R.-P. Warsitz () Baumgartenstr. 23, 34130 Kassel, Deutschland E-Mail: [email protected]
K
R.-P. Warsitz
bergsteigern der jeweiligen Zeit eine/r von zweien am Berg ihr/sein Leben verliert. Der Berg ist dabei absichtslos, aber es reicht ein Augenblick ohne das Aufatmen im „Glück gehabt“, sich im Unendlichen der Bergnatur aufzulösen. Uns Zurückgebliebenen bleibt das Staunen gegenüber ihrer Erhabenheit und die Frage nach dem Warum. (Reinhold Messner, in: Auer 2019, S. 10)
Zum Einstieg (– in den Berg und in den Text) Der Einstieg in den Berg und der Einstieg in eine theoretische Reflexion erfordern beide unabdingbar einen theoretischen Eros, obwohl der Gott Eros natürlich nie auf die Berge geklettert wäre. Der kleine Junge und Gott der Liebe, der geflügelte Eros, hätte gewiss den leichteren Weg durch die Lüfte gewählt! Meinen kleinen Versuch einer Reflexion und natürlich Selbstreflexion möchte ich also hier – frei assoziativ – angehen, nicht aber von oben – aus dem Götterreich des Denkens, sondern von unten – aus der Perspektive des grob profilierten Schuhs des Alp
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