Fibromyalgie: Trend zum Deskriptiven und Pragmatischen

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REPORT


Medizin ak tuell

Deutscher Schmerzkongress 2020

Alle Formen des Schmerzes im Blick Zunächst noch als Hybrid-Veranstaltung mit einem kleinen Präsenzprogramm geplant, musste auch der Deutsche Schmerzkongress vom 21.–24. Oktober 2020 schlussendlich coronabedingt als rein virtuelle ­Tagung stattfinden. Der Vielfalt der Themen tat dies indes keinen Abbruch.

Fibromyalgie: Trend zum Deskriptiven und Pragmatischen Die erhitzte Diskussion um die Rolle des psychischen versus somatischen ­Beitrags bei der Entstehung des Fibromyalgiesyndroms scheint immer mehr einer pragmatischen Nüchternheit zu weichen. Im Zentrum der Krankheitsentstehung steht vermutlich eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber Stress und Schmerzreizen.

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ie Definition des Fibromyalgie­ syndroms hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine beachtliche Evoluti­ on erfahren. Das Krankheitsbild wurde nach und nach von umständlichen und wenig reliablen diagnostischen Konzep­ ten entschlackt. So wichen beispielswei­ se die „Tenderpoints“ dem Konzept der „generalisierten“ oder „chronischen, weit verbreiteten“ Schmerzen. Laut Professor Frank Petzke, Schmerz­ medizin, Klinik für Anästhesiologie an der Universitätsmedizin Göttingen, hat jedes der aktuellen – einander in großen

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Teilen überlappenden – diagnostischen Konzepte rund um das Fibromyalgie­ syndrom – etwa die „somatoforme Schmerzstörung“ (ICD-10 F45.41), die „somatoforme Belastungsstörung“ (DSM 5) oder der „chronische primäre Schmerz“ (ICD-11) – seine jeweiligen Vor- und Nachteile. Als kleinsten ge­ meinsamen Nenner fordern all diese Klassifikationssysteme jedoch chroni­ sche Schmerzen in mehreren Körperre­ gionen, die nicht hinreichend durch eine somatische Erkrankung erklärt werden können.

Fibromyalgianess statt Fibromyalgie? „Letzlich passen alle Begrifflichkeiten in das biopsychosoziale Modell eines 'pri­ mary pain'“, erklärt Petzke. Diskutiert werde mittlerweile auch, nicht mehr von Fibromyalgie als einer spezifisch ab­ grenzbaren Störung auszugehen, son­ dern von einer „Fibromyalgianess“ als einem Kontinuum für Distress, dessen Schwere in verschiedenen Dimensionen variieren kann, etwa in Anzahl der Sym­ ptome und Schmerzorte, Schmerzinten­ sität, begleitenden affektiven Störungen und funktionellen Beeinträchtigungen. Die beiden Konzepte könnten auch ko­ existieren – Fibromyalgie als das Voll­ bild, Fibromyalgianess als Komorbidität. Jedenfalls sei Fibromyalgie, so Petzke, sehr heterogen und umfasse Subgrup­ pen mit individuell sehr unterschiedli­ chen biologischen, psychischen und so­ zialen Faktoren. Erhitzte Diskussionen über Psychoversus Somatogenese der Störung gehö­ Schmerzmedizin  2020; 36 (6)

ren Petzke zufolge weitgehend der Ver­ gangenheit an. Der Trend gehe immer mehr zur Deskription ohne Wertung. Das beschriebene klinische Bild ist ne­ ben dem Schmerz geprägt durch psychi­ sche und vegetative Begleitsymptome wie Erschöpfung und Schlafstörungen. Es besteht eine erhebliche Überlappung zu anderen psychischen Störungen wie Depression und Angststörungen. Mitt­ lerweile wurde eine Vielzahl