Ganzheit und Spaltung in der chinesischen Philosophie
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dula Linck Freiburg, Deutschland
Ganzheit und Spaltung in der chinesischen Philosophie Ganzheitlichkeit und Situation
Wenn im altchinesischen Kontext von makromikrokosmischer Resonanz die Rede ist, geht es um Analogien zwischen Mensch und Welt, Mensch und Gesellschaft und die daraus resultierende Wechselwirkung. Deren Grundlage ist das alles verbindende Qì. Alle drei Dimensionen Welt-Gesellschaft-Mensch lassen sich als ineinander verschachtelte „Ganzheiten“ begreifen, wenn man zugleich bedenkt, dass die ganzheitliche Bedeutsamkeit jeweils in sich mannigfaltig, diffus und auch widersprüchlich ist: Schon die geordnete Aufeinanderfolge von Yīn und Yáng unterstellt immer auch Kampf in der wechselseitigen Überwindung: sowohl Ganzheit als auch Streit! So scheint mir auch der Situationsbegriff [1] gegenüber dem der Ganzheitlichkeit weniger missverständlich und weniger missbraucht zu sein, da er genau das behauptet: Ganzheit als Zusammenhalt nach außen sowie innen: diffuse Bedeutsamkeit in allen Differenzierungen und Widersprüchen. Die Ganzheitlichkeiten „Welt“ und „Gesellschaft“ sind demnach den Menschen übergreifende gemeinsame Situationen, während der Einzelne mit allem, was ihn ausmacht, als personale Situation zu begreifen ist. Schon in vorchristlicher Zeit konstatierten chinesische Philosophen, egal welcher Couleur, den Verlust kosmischer Harmonie, den Bruch zwischen Mensch und Welt. Die Charakterisierung der Epoche als die „Zeit der streitenden Reiche“ (463–221 v. Chr.) spricht für sich. Gleichzeitig nährte man die Hoffnung, dass beides, kosmische Harmonie und ein soziales Miteinander, gelingen kann, wenn nur der Einzelne, insbesondere der Herrscher, Deutsche Zeitschrift für Akupunktur 2020 • 63 (3): 153–154 https://doi.org/10.1007/s42212-020-00287-z Online publiziert: 2. Juli 2020 © Springer Medizin Verlag GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
sich entsprechend bemüht. Selbstkultivierung im Sinne der Mitte – so lautet eine Antwort auf die Frage: Ist der Mensch gut oder schlecht?
in vorchristlicher »Zeit»Schon konstatierten chinesische Philosophen den Bruch zwischen Mensch und Welt
Im Folgenden geht es um zweierlei: erstens um den Nachweis ganzheitlichen Denkens im alten China, zweitens um die chinesische Variante von Spaltung. Aus Platzgründen kommen die übergreifenden Situationen von Welt und Gesellschaft nur sporadisch in den Blick, sodass die dynamische Verfasstheit des einzelnen Menschen im Mittelpunkt steht.1
Eine Welt aus Qì
Die grafische Etymologie des Zeichens aus drei übereinander geschichteten Wolken verweist auf die Verwandtschaft der Himmelserscheinung Qì mit Sturmregen und Wind: „Der Himmel verfügt über sechs Qì: Yīn, Yáng, Wind, Regen, Dunkelheit, Helligkeit“ [2]. Gleichzeitig ist unterstellt, dass das Yángqì des Himmels mit dem Yīnqì der Erde korrespondiert, sodass auch die Jahreszeiten nichts anderes sind als Wandlungen des Qì. Von da war es ein kleiner Schritt zum Verständnis von Qì als einer Lebenskraft, deren Dynamik für alles Werden und Vergehen in der Welt verantwortlich ist. Beim
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