Intensivtherapie bei Vergiftungen

Vergiftungen machen auch heute noch einen erheblichen Anteil medizinischer Behandlungsfälle, speziell auf der Intensivstation, aus. In diesem Kapitel werden häufige Vergiftungssyndrome (Toxidrome), pharmakologische Grundlagen der Bewertung und der Therapi

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REPORT


Intensivtherapie bei Vergiftungen H. Desel* Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein (GIZ-Nord) und Toxikologisches Labor, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

1 Einleitung Die Häufigkeit lebensbedrohlicher Vergiftungen mit langer intensivmedizinischer Behandlungsdauer, insbesondere Vergiftungen mit älteren Schlafmitteln oder Pestiziden sowie anderen hochtoxischen chemischen Stoffen und Gemischen, hat in den letzten Jahrzehnten stark abgenommen. Dennoch verursachen Vergiftungen auch heute einen erheblichen Anteil medizinischer Behandlungsfälle. Etwa 50.000–100.000 chemische Stoffe werden heute industriell verwendet und sind in chemischen Produkten enthalten, mit denen Menschen in Kontakt kommen. Jeder Stoff besitzt ein eigenes toxikologisches Profil, verursacht eine „eigene“ Vergiftung mit charakteristischer Symptomatik, typischem Zeitverlauf und Komplikationsrisiko. Die Definition und Beschreibung toxikologischer Syndrome (Toxidrome) hilft, Stoffe in humantoxikologischer Hinsicht zu gruppieren und so das Vergiftungsmanagement zu erleichtern (Tab. 1). Viele Vergiftungen beim Menschen sind allerdings bis heute noch nicht oder nicht ausreichend gut dokumentiert worden. Die Mehrzahl aller Vergiftungen wird fr€ uher wie heute zweifellos durch Alkohol (Ethanol) verursacht, alle anderen Vergiftungen sind vergleichsweise selten. Eigene klinische Erfahrung kann daher nur mit einem sehr kleinen Teil von Vergiftungen erworben werden. In der Vergangenheit wurde der genauen Vergiftungsdiagnostik eine eher untergeordnete Rolle zugedacht (die Entität „Tablettenvergiftung“ gab und gibt es nicht) und die Vergiftungstherapie nach weitgehend noxenunabhängigen, schematischen Regeln („immer Giftentfernung“) durchgef€ uhrt. Heute hingegen haben eine differenzierte toxikologische Einschätzung der stofflichen Noxe als Vergiftungsursache und die toxikologische Risikobewertung unter Ber€ ucksichtigung des Applikationspfades und der absorbierbaren Dosis in der modernen klinischen Toxikologie erheblich an Bedeutung gewonnen; die Indikation f€ ur ein spezifisches Behandlungsverfahren, insbesondere die Gabe eines hochwirksamen Antidots, kann so auf verlässlicher Basis gestellt werden.

2 Toxikologische Grundlagen Toxikologie hat in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen. Die Mehrzahl der Toxikologen arbeitet heute in den Bereichen toxikologische Testung, Stoffbewertung und Produktsicherheit. Bei der Beschreibung von Vergiftungen beim Menschen hat sich die genaue Anwendung der toxikologischen Terminologie bewährt, um Missverständnisse im interdisziplinären Dialog zu vermeiden.

2.1 Toxizität, Exposition und Risiko In der Regel werden in der Toxikologie die unerw€ unschten Wirkungen stofflicher Noxen auf den Körper untersucht. Als stoffliche Noxen werden meist chemisch definierte Stoffe betrachtet. In zunehmendem

*E-Mail: [email protected] Seite 1 von 18

Die Intensivmedizin DOI 10.1007/978-3-642-54675-4_108-1 # Springer Berlin Heidelberg 2015

Tab. 1 Intens