Braucht Deutschland ein neues Wirtschaftsmodell?
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DOI: 10.1007/s10273-020-2747-7
Braucht Deutschland ein neues Wirtschaftsmodell? Als die Deutschen 1990 die Einheit feierten, schien der Kapitalismus gesiegt zu haben, wie es Francis Fukuyama kurz zuvor mit seinem Essay zum „Ende der Geschichte“ proklamiert hatte. Mehr noch: Der Kollaps des Gegenmodells schien jenem paradigmatisch wirkenden Trend noch mehr Schub zu geben, die Balance sehr viel mehr wieder vom Staat weg in Richtung Markt zu verschieben – im tiefen Glauben, alle großen Probleme ließen sich am besten über das freie Spiel von Angebot und Nachfrage regeln. Damals war die Hochzeit für das Privatisieren staatlicher Einrichtungen. Es begann ein Jahrzehnt der Hyper-Finanzglobalisierung. Und es ging fast nur darum, wie sich noch mehr Regeln und Grenzen abbauen lassen; wie Einkommen wieder stärker gespreizt werden, um vermeintlichen Leistungsträgern mehr Anreize zu geben – deren Früchte über Trickle-Down dann am Ende alle erreichen sollten. Und wie der Staat Hilfsleistungen abbaut. Motto: Eigenverantwortung. 30 Jahre später scheint eben dieser Kapitalismus in der Glaubwürdigkeitskrise. Nach einer Umfrage der Beratungsagentur Edelman sagen weltweit 56 % der Befragten, dass der Kapitalismus in seiner heutigen Form nicht geeignet sei, die großen Probleme der Menschheit zu lösen. Die Kritik wird lauter. Auch der Papst wettert gegen die Macht der Märkte.
Thomas Fricke ist Direktor des Forum New Economy und Kolumnist bei Spiegel Online.
Nur ein Modephänomen, wie manche Liberale sagen? Vielleicht. Nur spricht heute viel für eine tatsächlich grundlegendere Krise. Und wenn das stimmt, sollte die Frage eher sein, was genau dahintersteckt – und wie diese Krise zu beheben ist. Dafür eine offene Plattform zu bieten, ist Ziel des Forum New Economy, das seit Oktober 2019 Forschung und Praxis zusammenbringt. Und: um die Relevanz all dieser Fragen für Deutschland auszuloten, haben wir kurz vor dem 30. Jahrestag der Einheit über drei Tage das Für und Wider neuer ökonomischer Antworten diskutiert: in einem Gespräch zwischen Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Bundesfinanzminister Olaf Scholz; durch Keynotes von Thomas Piketty und Jens Spahn, der als Lehre aus der Corona-Krise für ein neues Staatsverständnis plädiert; und durch die Präsentation exklusiver Studien rund um die großen Grundsatzfragen etwa von Mariana Mazzucato, Michael Hüther, Jens Südekum, Achim Truger und anderen. Einen Teil der Beiträge zur Frage nach einem „neuen deutschen Modell“ dokumentiert das Zeitgespräch in diesem Heft. Dass es in diesen Zeiten in Deutschland ebenso Bedarf gibt, die Balance zwischen Staat und Markt neu auszutarieren, lassen Umfragen auch hier erahnen. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Forums sagen immerhin knapp 30 % der Menschen im Land, dass das Wirtschaftssystem, so wie es heute funktioniert, grundlegend erneuert werden sollte – mehr als 60 % geben an, dass es zumindest „in einigen Bereichen verbessert“ werden sollte. Und: Nur 5 % sehen keinen Bedarf. Jeder Zweite sagt, dass das Versprechen des sozialen Ausgleichs nicht mehr fu
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